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Archiv-Artikel

Evolution im Internet

„Die Musikindustrie ist wie ein Restaurant, das alles von der Karte streicht, außer Hühnchen“, findet Blixa Bargeld von den „Einstürzenden Neubauten“. Jetzt ist die Band im Norden unterwegs und stellt ihr Album „Perpetuum Mobile“ vor

„Die Zukunft der Artenvielfalt der Musik liegt im Netz“

Berlin ist nicht mehr das, was es mal war, und auch die Studioarbeit der Einstürzenden Neubauten hat sich verändert: Ihr neues Album „Perpetuum Mobile“ produzierte die Avantgarde-Combo unter öffentlicher Beobachtung diverser Webcams. Kommendes Wochenende spielen die Neubauten im Norden – die taz sprach vorab mit Neubauten-Gründer Blixa Bargeld.

taz: Früher gab es Bohrmaschinen, Presslufthammer und Songs namens „Stahlvision“. Auf dem neuen Album lasst ihr nun in Stücken wie „Ein leichtes leises Säuseln“ Lindenblätter rascheln. Seid ihr ruhiger geworden?

Blixa Bargeld: Ich höre immer wieder, wir hätten ein leises Album gemacht. Das ist ja ein sehr relativer Begriff. Was ein leises oder lautes Album ist, hängt doch ganz davon ab, wie laut man seine Anlage aufreißt.

Auffällig ist, dass sich die neuen Texte viel mit dem Thema Bewegung beschäftigen. Eine Reflexion der Tatsache, dass Berlin nicht mehr der Fixpunkt in eurem Schaffen ist?

Die Neubauten waren immer eine Westberliner Band, und Westberlin gibt es ja schon lange nicht mehr. Meine Kritik an der Stadt, der Bauwut und den historischen Klittermaßnahmen habe ich aber bereits auf der letzten Platte verschossen. Da muss ich mich jetzt nicht noch mal ransetzen.

Ein Rückzug ins künstlerische Exil?

Nein. Mein Eremitentum war in Berlin schon genauso. Das hat nichts mit einer Fluchtbewegung zu tun. Es ist einfach eine Entwicklung. Ich verbringe immer mehr Zeit außerhalb, Rudolf verabschiedet sich dann auch mal für ein halbes Jahr gen Hollywood, um Soundtracks zu machen, und Alex fährt für seine Soloplatte, die wie ein Roadmovie angelegt ist, von einem Freund zum nächsten und schleppt sein ganzes Equipment mit ...

... und doch wart ihr noch nie so rasch mit einem Album fertig.

Das hing mit der Arbeitsweise zusammen. Nachdem unser letzter Plattenvertrag beendet war, entschlossen wir uns zur Arbeit mit einem Sub–skribentenmodell.

Wer bereit war, 35 Dollar zu bezahlen, konnte die Entstehung des Albums am Rechner mitverfolgen, kommentieren und beeinflussen ...

Genau. Die Einstürzenden Neubauten sind ja eine Chaotenband. Wenn da eine Session für 16 Uhr angesetzt ist, kann es sein, dass der Letzte um 18 Uhr erscheint. Bei den Broadcastings aber waren alle da. Und weil dann alle da waren, wurde auch richtig gearbeitet.

Wie sah die Zusammenarbeit mit den „Supportern“ konkret aus?

Sie konnten unsere Arbeit mittels im Studio installierter Kameras mitverfolgen und sich einmischen. Wir wussten erst nicht genau, ob wir das mögen würden. Am Ende wuchs es sich aber sehr organisch aus, zu einer Form von erweitertem Freundeskreis aus Leuten, die unsere Rough-Mixes beurteilten, inhaltliche Fehler bemängelten oder auch einfach nur insistierten, dass wir an einem Stück weiterarbeiten sollten, das wir eigentlich schon wegschmeißen wollten.

Liegt die Zukunft im Netz?

Zumindest die Zukunft für die Artenvielfalt, für die aussterbenden Sprachen der Musik. Wir müssen die subversive Qualität dieses ganzen Krams ausnutzen. Der Niedergang der Plattenfirmen geht Hand in Hand mit der Schrumpfung der Bandbreite. Die Musikindustrie ist wie ein Restaurant, das alles von der Karte streicht, außer Hühnchen. Wenn dann irgendwann keiner mehr Lust auf Hühnchen hat, ist das Geschrei groß.

Hast Du denn den Eindruck, dass eigene Download-Angebote von Bands eine echte Alternative sind?

Natürlich ist das der Weg. Es erschöpft sich ja nicht darin, Songs runterzuladen. Alex Hacke hat zum Beispiel eine Performance gebroadcastet, am nächsten Tag wurden die Aufnahmen gemischt, und schon konnte man eine komplette Platte inklusive Cover runterladen, die es nie in irgendeinem Laden geben wird. Das haben vielleicht 400 Leute genutzt. Das ist es, was den evolutionären Fortgang der musikalischen Entwicklung erst ermöglicht. Das ist genau der revolutionäre Grundstock, den wir dringend brauchen. Christoph Kutzer

Die Einstürzenden Neubauten spielen am 25.3. im Hamburg in der Musikhalle, am 26.3. im Bremer Schlachthof und am 27.3. in Bielefeld im Ringlokschuppen