Europas tödliche Abschottung : KOMMENTAR VON MICHAEL BRAUN
Namen wie Teneriffa, Ceuta und Melilla oder Lampedusa tauchen derzeit mit trauriger Regelmäßigkeit in den Nachrichten auf: Mal sind sie eine Schlagzeile wert, wenn es wieder Dutzende tote Bootsflüchtlinge auf See gegeben hat, meist aber nur eine kurze Meldung, wenn nur ein paar Leichen zu vermelden sind.
Natürlich stimmt es, dass die Menschen, die auf abenteuerlichem Weg nach Europa gelangen wollen, das Opfer krimineller Schlepperbanden sind. Diese machen Millionen, indem sie Menschen immer wieder in den Tod schicken. Zugleich aber sind diese Menschen auch Opfer einer europäischen Politik, die vorgibt, das kriminelle Geschäft zu bekämpfen, und doch bloß seine Voraussetzungen aufrechterhält. Es stimmt ja nicht, dass die immer weiter perfektionierten Abwehrstrategien darauf zielen, bloß den Schleppern das Handwerk zu legen. Hauptzweck der Abschottungspolitik ist und bleibt es, die Elendsflüchtlinge aus Europa draußen zu halten.
Damit wird ihnen jedoch keine andere Alternative gelassen, als unter mörderischen Bedingungen den Weg übers Mittelmeer zu suchen. Die Schlepper dagegen haben längst ihr Risiko minimiert: Statt selbst mit an Bord zu gehen, schicken sie die Flüchtlinge mittlerweile allein auf die Reise.
Wenn alles gut geht, endet diese Reise oft genug – wenn auch erst nach mehreren Jahren – in einer legalen Existenz als Einwanderer in Europa. Denn das ist ein weiterer Aberwitz der europäischen Flüchtlingspolitik: Alle paar Jahre wieder entdecken europäische Länder wie Spanien oder Italien, dass ihre „Illegalen“ als Erntehelfer, als Fabrikarbeiter oder als Pflegekräfte in den Familien dringend gebraucht werden – und gewähren ihnen ein legales Aufenthaltsrecht. Ihren Transfer nach Europa aber überlassen sie weiter kriminellen Banden.
Selbst die ausgefeilteste Abschottungspolitik wird an dieser perversen Dynamik nichts ändern, sondern sie bloß fortsetzen. Europäische Solidarität könnte sich auf noblere Weise bewähren als in einer gemeinsamen Abwehrstrategie, die den Tod im Mittelmeer zum Alltag werden lässt. Es ist höchste Zeit, dass Europa über sichere Wege der Einwanderung nachdenkt.