Europa reagiert auf Finanzkrise: Auch die EU will Wirtschaft ankurbeln
Nach dem Rettungspaket für die Banken will die EU auch die Industrie fördern. Weltkonferenz im November soll eine völlig neue Finanzordnung erarbeiten.
BRÜSSEL taz Gegenseitiges Rückenklopfen gehörte schon immer zum europäischen Gipfelritual. Dieses Mal wollte das Herzen aber kein Ende nehmen. Seit Europas Staats- und Regierungschefs in den Schlund der Finanzkrise blicken, rücken sie enger zusammen. Nach dem Rettungspaket für die Banken will die EU nun auch die Industrie unterstützen. Die Kommission soll bis zum Jahresende entsprechende Vorschläge machen. Die Europäische Investitionsbank hat bereits Darlehen von 30 Milliarden Euro für kleine und mittlere Betriebe zur Verfügung gestellt.
Im Sommer 1944 fand in Bretton Woods im US-Staat New Hampshire eine internationale Finanz- und Währungskonferenz statt. Die 44 teilnehmenden Staaten beschlossen, den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank einzurichten. Als eigentliches "Bretton-Woods-System" wird das bis 1973 bestehende internationale Währungssystem bezeichnet. Es basierte auf festen Wechselkursen und der Verpflichtung der USA, Dollar gegen Gold einzulösen. Wenn nun ein "Bretton Woods II" gefordert wird, ist keine Rückkehr zum alten System fester Wechselkurse gemeint, sondern ein Gipfel, auf dem neue Regeln für das internationale Finanzsystem beschlossen werden sollen. Dieser Weltfinanzgipfel soll möglichst noch im November stattfinden. Als Konferenzort ist New York im Gespräch.
Am Samstag fahren EU-Ratspräsident Nicolas Sarkozy und Kommissionspräsident José Manuel Barroso nach Washington, um US-Präsident George W. Bush ihre Vorschläge für eine Weltfinanzkonferenz zu unterbreiten. Sie soll neben den G-8-Ländern auch Schwellenländer wie China, Indien, Mexiko und Brasilien einbeziehen. Am Ende soll nichts Geringeres stehen als eine völlig neue Weltfinanzordnung (siehe Kasten).
Noch etwas wurde auf dem EU-Treffen deutlich: Kaum jemand bestreitet, dass die Einheitswährung Schlimmeres verhütet hat. Das ehemalige Zentralbankmitglied Otmar Issing brachte es auf den Punkt: "Es ist nicht schwierig sich vorzustellen, was in der aktuellen Finanzmarktkrise geschehen wäre, wenn die Euroländer ihre nationalen Währungen noch hätten. Währungsspekulation im großen Stil, Stützkäufe der Zentralbanken und schließlich ein Zusammenbruch des Wechselkurssystems." Mitleidig blickt man aus Euroland auf den freien Fall der isländischen Krone und auf Notmanöver der dänischen Regierung, die den Wechselkurs durch Zinssteigerung stabil zu halten versucht. Auch das britische Pfund hat gegenüber dem Euro an Wert verloren. Dennoch hat der britische Premier Gordon Brown das Kunststück fertiggebracht, sich vergangenen Sonntag beim Gipfel in Paris und nun wieder in Brüssel als Retter der europäischen Finanzwirtschaft feiern zu lassen. Natürlich denke er nicht daran, nun seinerseits der Eurozone beizutreten, beruhigte er britische Reporter.
Wohl aber hat sich die britische Position zur Finanzkontrolle geändert. Legt man Aussagen beim Gipfel zugrunde, könnten Sarkozy, Barroso und Brown bald bei Attac eintreten. Nichts Geringeres als eine "Neugründung des Kapitalismus" strebt Sarkozy an. "Ist es vielleicht normal, dass eine Bank, die mit Steuergeldern gerettet wird, ihre Gewinne in Steuerparadiese verschiebt?", fragte der Franzose. Es müsse auch Schluss sein damit, dass Ratingagenturen, die die Kreditwürdigkeit von Banken beurteilen, ebendiesen Banken gehören. Sarkozy lobte die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank EZB, deren Bedeutung endlich von allen Regierungen anerkannt werde. Dabei scheint ihm entfallen zu sein, dass die französische Regierung bis vor kurzem zu den schärfsten Kritikern der EZB gehörte.
Die Regierungschefs verständigten sich am Ende einstimmig darauf, eine Art rotes Telefon für Finanzkrisen freizuschalten. Der jeweilige EU-Ratspräsident, der Kommissionspräsident, der Vorsitzende der Zentralbank, der Chef der Eurogruppe und alle europäischen Regierungen sollen dem Verbund angehören. Wenn ein Land in Finanzschwierigkeiten gerät und der Staat ins Finanzsystem eingreift, sollen sofort alle anderen informiert werden.
Bei der EU-Kommission soll sich eine hochrangige Expertengruppe mit der Frage befassen, wie eine europäische Bankenaufsicht gestaltet werden könnte. Die Bereitschaft für europäische Lösungen sei durch die aktuelle Krise gestiegen, glaubt Sarkozy. Bis ein solches Konzept vorliegt, sollen die nationalen Aufsichtsbehörden jeden Monat zu einem Treffen zusammenkommen. Man darf allerdings gespannt sein, ob die Begeisterung der Mitgliedsstaaten anhält, wenn das Konzept für eine Brüsseler Bankenregulierung dann schließlich auf dem Tisch liegt.
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