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Archiv-Artikel

Etwas tun

VON ANKE STELLING

Nichts Großes, nichts Schlimmes, nichts Außergewöhnliches -

Katrin wartet. Neben ihr sitzt Gerlinde; regelmäßig treffen sie sich hier im Gang A bis G. Hellblaue Metallsitze, so was hat Gerlinde früher selbst gefertigt oder zumindest die Löcher hineingestanzt. Katrin nicht, Katrin hat eine halbe Ausbildung zur Zahnarzthelferin, einen Sohn namens Marcel und den Drang, die Dinge persönlich zu nehmen.

Etwas Eigenes, etwas Kleines, etwas Lebendiges –

Davor hat die Mutter Katrin gewarnt. Einen Haufen Arbeit macht das Familienleben, und wenn der Kerl nichts heimbringt, braucht er auch kein Heim.

Was soll’s, denkt Katrin. Sie spürt den winzigen Körper an ihrem Unterschenkel, hört das dünne, heisere Stimmchen, und Andi ist dabei und hat ganz rote Augen.

„Gut gemacht“, sagt die Hebamme, aber natürlich behält die Mutter Recht, und Andi ist in Zukunft nichts weiter als die Riesenausgabe von Marcel (blond, unbedarft und weinerlich) und Marcel ganz der Vater (blond, aufgeregt und immer hungrig).

Etwas Schönes, etwas Buntes, etwas Lustiges –

Katrin malt ein Fensterbild für Marcel an die Balkontür. Einen Hund, der entfernt an Goofy erinnert, den hat sie tausendfach geübt, damals, in der sechsten Klasse. Aber Marcel hat Angst vor Hunden, und Andi lacht.

„Leckt mich doch alle mal“, sagt Katrin und kauft noch mehr Fensterfarbe, irres Zeug, bunt und abziehbar, furchtbar teuer im Hobbyladen auf der Berliner Allee. Stundenlang könnte Katrin dort stöbern und Farben vergleichen und Perlen aussuchen, während Andi und Marcel zu Hause sitzen und abwechselnd ihren Saft verschütten.

Katrin wartet. Gerlinde hat ihr Handarbeitskörbchen dabei, sie schämt sich für nichts. „Ich muss was tun“, sagt sie, „die Warterei macht mich wahnsinnig.“ Katrin sieht hoch auf die abgeschaltete Nummernanzeige. Ohne Termin braucht inzwischen niemand mehr zu kommen, man wird persönlich aufgerufen.

„Musst bloß aufpassen, dass du dich dann noch an deinen Namen erinnerst.“ Gerlinde reicht Katrin einen gehäkelten Eierwärmer in Hühnchengestalt. Katrin steckt ihn sich auf den Finger und kräht.

„Nimmst du mit für deinen Kleinen“, sagt Gerlinde.

Katrin schüttelt den Kopf. „Marcel hat Angst vor Hühnern.“

Etwas Neues, etwas Selbstständiges, etwas tun –

Das wurde Katrin ans Herz gelegt. Ein gut bezuschusstes Existenzgründungsseminar, ein leer stehendes Ladenlokal –

Der Fußboden ist gefliest. Nicht selbstverständlich bei der billigen Grundmiete. Für vorne empfiehlt der Herr von der Hausverwaltung eine Fußmatte, damit die Kundschaft bei Regen nicht ausrutscht. Im hinteren Raum steht ein Tresor. Was damit werden soll, fragt Katrin. Der Herr von der Hausverwaltung lacht. „Für die Einnahmen“, sagt er, nein nein, ein Andenken an den Vormieter.

Vielleicht hätte der Vormieter Katrin warnen können, aber der ist weg, wie bald alle Einzelhändler jenseits der Berliner Allee.

Und Andi mag den Tresor. Die Tapete tut’s auch noch, findet er und lackiert lediglich die Wischleiste neu. Marcel trinkt Saft bei Oma. Katrin macht Großeinkauf im Hobbyladen auf der Berliner Allee. Sechshundert Euro gibt’s im ersten Jahr, sechshundert Euro jeden Monat.

Etwas Schönes, etwas Buntes, etwas Selbstgemachtes –

Katrin legt die Ware aus. Ihren Hund in verschiedenen Größen, ausgesägt aus Sperrholz, angemalt und klar lackiert. Gerlindes Eierwärmer in allen Farben, dazu Handschuhe, Schals und Pudelmützen. Kleine Blumen aus Tauchlack. Perlenanhänger.

Im Tresor hat Andi eine Lampe angebracht, die beleuchtet jetzt das beste Stück: ein Sofakissen in Gobelinstickerei. Bald drei Monate hat Andis Mutter daran gesessen und auch versprochen nachzuliefern.

Zur Geschäftseröffnung kommen Freunde und Verwandte. Katrin verkauft auf Anhieb zwei kleinere Hunde und ein Paar Handschuhe. Andis Bruder hat die Idee, auch Service anzubieten: Fensterbilder auf Bestellung, Faxe verschicken oder ein Handarbeitskurs. Nur die Werbung muss stimmen, dann läuft das wie von selbst.

Nichts Schlimmes, nichts Neues, nichts Erwähnenswertes –

Im zweiten Jahr gibt es noch dreihundertsechzig Euro. Katrin hat ein Kopiergerät geleast und kämpft mit der Bedienungsanleitung. Andi versucht, den Tresor bei Ebay zu versteigern, hundert Euro Mindestgebot, außerdem an Selbstabholer.

Gerlinde ist enttäuscht, weil Katrin keinen Nachschub will. „Du musst das Sortiment erweitern! Dann geh’n auch die Eierwärmer wieder.“

Im dritten Jahr noch zweihundertvierzig. So günstig ist die Miete auch wieder nicht, zumal der Fußboden gefliest ist. Der Herr von der Hausverwaltung zwingt Katrin, den Tresor zu entsorgen, Vertrag ist Vertrag, und was soll er mit dem Ding.

Katrin wartet. Sachbearbeiter Wernitz und seine Kollegin heißen jetzt Team 707. Gerlinde übt sich in taktvollem Schweigen –