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Esther Slevogt betrachtet das Treibenauf Berlins Bühnen

Damals, es war im Jahr 1784, schrieb ein 25-jähriger Dramatiker ein Stück, das die Korruption des Systems, in dem er lebte, anprangern wollte. Der Plot, mit dem Friedrich Schiller (denn so hieß dieser Dichter) seine Zeitgenossen aufrütteln wollte, ging so: Ein strahlendes Liebespaar, Ferdinand und Luise, schickt sich an, die damals noch hermetischen Standesgrenzen im Absolutismus mit der Kraft ihrer Liebe einzureißen. Er Aristokratensohn, sie Bürgertochter. Doch das System schlägt zurück, in Gestalt seiner Subalternen: eines Hofmarschalls, eines Sekretärs und der Kammerzofe der adeligen Mätresse des Fürsten. Am Ende siegen die Kabale, die Lügen der Hofschranzen, die nämlich in das liebende Herz des Aristokratensohns das Gift des Zweifels sähen. Bis er seine Luise umbringt. Ein deutscher Ehrenmord. Strippenzieher wie bei Schiller, die in den Hinterzimmern der Macht ihre Komplotte schmieden, gibt es noch immer. So hat eine Theaterformation mit dem schönen Namen „Compagnie für präemptive und nachhaltige Auseinandersetzung“ Schillers bösartige Nebenfiguren nun einmal ins Rampenlicht gezerrt, um ihr Wirken an Hand eines neu entwickelten Plots im Jetzt zu durchleuchten. „Wurm & Kalb. Schiller von hinten“ heißt der Abend, der im Theaterdiscounter herauskommt (Theaterdiscounter, 1.–3. Juni, 20 Uhr)

In der Schaubühne setzt Thomas Ostermeier seine Suche nach der AfD in uns fort, die er mit „Rückkehr nach Reims“ von Didier Eribon (und Nina Hoss) begann. Jetzt ist der Stoff, der die Basis seiner Untersuchung bildet, die Auseinandersetzung des jungen französischen Schriftstellers Édouard Louis mit einer Vergewaltigung mit homosexuellem Hintergrund, in deren Verlauf er die rassistischen und homophoben Abgründe der Gesellschaft freilegt. Für seine deutschsprachige Erstaufführung hat Ostermeier gemeinsam mit Louis den französischen Erfolgsroman „Im Herzen der Gewalt“ (der im August auch auf Deutsch erscheint) für das Theater adaptiert (Schaubühne, Premiere 3. 6. 20 Uhr).

Ein sehr spezielles Projekt ist „Dekameron“ von Bo Nielson, einst Ausstatter der Performancegruppe Signa und ihrer atmosphärischen wie detailreichen begehbaren Welten. Am Berliner Ensemble hat Nielson – in Kooperation mit dem Theater Ramba Zamba – nun für Boccacios berühmten Stoff eine Nekropole mit Lebenden und Toten gebaut. Kein Abend wird dort sein wie der andere, denn in jeder der insgesamt 21 Vorstellungen wird die Geschichte forterzählt. Es beginnt am 2. Juni und endet am 7. Juli (Berliner Ensemble: „Dekameron“, Premiere 2. 6., 16 Uhr).

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