Esstabu Innereien: Kämpfer für Kutteln und Nierle
Ein Rind besteht aus 30 Fleischteilen. Doch nur wenige davon landen auf dem Teller. Einige Meisterköche arbeiten an einer Renaissance der Innereien.
Sie servieren Schweinenierle in Mostsoße oder Zander mit zu Kroketten geadelte Champagner Kutteln Einige deutsche Meisterköche bemühen sich darum, Innereien wieder in Deutschland zu etablieren. "Die häusliche Küchenkultur ist verloren gegangen", sagt Jörg Ebermann, Küchenchef der "Linde" im schwäbischen Oberhoihingen, der sonntaz. "Jedes Fleischstück ist eine Delikatesse, wenn es gut zubereitet ist."
Seit 1982 verleiht ihm der Gault Millau eine Auszeichnung für sorgfältig zubereitete und preiswerte Mahlzeiten. Ebermann hat sich den Ruf des Freaks erkocht, der mit Innereien, Köpfen und Extremitäten der Tiere Geschmackserlebnisse schaffen kann. Für Ebermann sind Innereien nicht nur Kollateralschäden von Schlachtungen, die auf die Filetstücke abzielen. Sie besitzen seine ganze kulinarische Wertschätzung.
Auch Küchenchef Harald Derfuß vom Hotel "Adler" in der schwäbischen Kleinstadt Asperg engagieren sich für verschmähte Tierteile wie Innereien und Köpfe. Für den Franken Derfuß ist der Umgang mit Innereien selbstverständlich: Bevor er als Koch bei Küchenstars wie Alfred Klink in Freiburg und als Sous Chef bei Drei-Sterne-Koch Dieter Müller zu arbeiten begann, absolvierte er eine Metzgerlehre.
Warum kaum einer mehr Leber oder Maul isst und welche Köche Innereien wieder etablieren wollen lesen Sie in der aktuellen sonntaz vom 10./11. Oktober - ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk erhältlich.
Für ihn würde der Verzicht auf Innereien die Verarmung der kulinarischen Möglichkeiten bedeuten. Aber passen die überhaupt in die Gourmetküche? "Innereien auf Sterne-Niveau sind kein Widerspruch, im Gegenteil", sagt Christian Ottenbacher der sonntaz. "Sie verhindern Langeweile auf unseren Speisekarten."
Ein Rind besteht aus 30 Teilen, aber nur wenige davon werden nachgefragt. Früher kam viel mehr in die Küche - Herz, Lunge, Milz, Leber, Nieren, Magen, aber auch Zwerchfell, Maulfleisch, Zunge oder Schwanz.
Innereien würden kaum noch nachgefragt, bestätigt der Hamburger Metzger Otto Meinert, Vorstand im Deutschen Fleischerverband. Allenfalls ältere Kunden kaufen bei ihm etwas anderes als die Verkaufsrenner Filet, Keule, Steak oder Koteletts. Auch er bedauert diese Entwicklung - mit seinem Sohn speist er regelmäßig frische Leber auf dem Hamburger Fleischgroßmarkt. Roh.
Nur noch wenige Fleischhändler bieten auf den Großmärkten die Einzelteile der Tiere in ihrer ganzen Breite an. Rinderzungen oder Zwerchfelle gehen nach Frankreich. Das ist nur ein Beispiel für den globalen Verschiebeverkehr, mit dem Tierteile durch die Kontinente geschleust werden.
Von Hühnern werden in Deutschland fast nur noch die Brüste und Schenkel gegessen, die Füße werden nach Südostasien verkauft, die Innereien nach Russland. Die anderen Geflügelteile nach Afrika, wo sie die örtlichen Kleinbauern ruinieren, die für ihre Tiere keine rentablen Preise mehr erzielen können.
Der Frankfurter Ethnologieprofessor Marin Trenk hat festgestellt, dass sich Esstabus in Deutschland immer weiter ausdehnen. "Wir essen inzwischen Bison, Hai, Strauß, Känguru und Alligator. Aber nur Teile des Muskelfleisches, Schinken, Filet und Kotelett. Innereien werden immer stärker geächtet."
Kulinarisch betrachtet ist Deutschland noch immer ein geteiltes Land, die Grenze bildet der Main. Die Küche nördlich der Mainlinie ist geprägt von einer nord-mittel-europäischen Kultur, die Küche des Südens von mediterranen Einflüssen. "Die mediterrane Küche ist deutlich besser, sie kann auch Innereien zubereiten", sagt er.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann