ZURÜCK IN BERLIN : Erleuchtung
Weder finde ich den Berliner Hauptbahnhof besonders schick. Noch lege ich Wert darauf, dass Berlin eine gepflegte Stadt ist – das sei gleich am Anfang gesagt. In Dortmund war ich in den ICE an einem Bahnhof gestiegen, der von ranzigen, unrasierten Gestalten in Jogginghosen dominiert wird. Es wird gebrüllt, gedrängelt, gerüpelt, und alles riecht nach dem Bratfett der Würstchenbude in der Bahnhofshalle.
Selbst Bierdosen haben hier in einer Zeitblase Jürgen Trittin überdauert und werden mit Gusto geleert. Mensch, denkt man sich da, so war das doch früher in Berlin auch. Als die Bahnen noch am Zoo oder am Ostbahnhof Endstation hatten, wurde man von solchen schwankenden Gestalten mit leierndem Tonfall begrüßt, die in Dortmund noch immer die Bahnsteige bevölkern.
Am abendlichen Berliner Hauptbahnhof angekommen, bestimmen Touris, Hipster und Anzugträger das Bild. Dazwischen wandeln stämmige Sicherheitskräfte entlang der Flagship-Stores. Wer hat da was vom „Schmuddel-Berlin“ gesagt? Der zivile Eindruck hält freilich nur so lange an, bis man zu der als Bushaltestelle fungierenden Stadtbrache kommt, die Michael Mönningers Spruch vom Alexanderplatz als „Vorposten der Mongolei“ ins Gedächtnis ruft, und neben den aufgereihten Stehimbissen in der Dunkelheit auf den M 41 wartet. Der passiert Tiergarten-Tunnel und Potsdamer Platz, die letzten Berliner Weltstadt-Simulationen. Spätestens am Halleschen Tor beginnt der Bus sich mit den düsteren, unrasierten Figuren in Jogginghosen zu füllen, die man am Dortmunder Hauptbahnhof hinter sich gelassen hatte. Aus vielen Kehlen riecht es nach Alkohol. Wenn man Glück hat, redet einer von den Mitfahrern laut und sinnfrei mit sich selbst. Und dann, um es mit Christiane Rösinger zu sagen, „dann sind wir wieder in Berlin“.
TILMAN BAUMGÄRTEL