Erinnerungen an Stefan Aust: Er war Pferdefeind
Nun, da Stefan Aust als "Spiegel"-Chef vor der Ablösung steht, erinnert eine Anthologie an ihn - zu seiner Zeit als Kolumnist der "St. Pauli Nachrichten".
Es soll ja Leute geben, die jetzt schon die bildsprachgewaltigen Cover und die schmissigen Titelzeilen vermissen, die Stefan Aust als Spiegel-Chef zimmerte. Aust, der im Novemberurlaub von der Beendigung seines Vertrags 2008 erfuhr, streitet mit dem Spiegel am Montag bei einem Gütetermin vor Gericht zwar noch über Abdankungs- und Abfindungsmodalitäten. Und Mathias Müller von Blumencron und Georg Mascolo sind als Nachfolger noch nicht bestätigt.
Doch Austs Ablösung rückt näher, und es ist ungewiss, wann er wieder an der journalistischen Front zum Einsatz kommt. Als kleiner Trost könnte ein knapp 100-seitiger DIN-A 5-Reader dienen, der maßgebliche Teile von Austs Frühwerk zusammenfasst: ein Reprint mit dem Titel "Ein kleiner Aus(t)druck". Diese in Heftform herausgebrachte Anthologie enthält die täglichen Kolumnen, die er 1970 mit Horst Tomayer für die St. Pauli Nachrichten verfasste - damals eine Mixtur aus Satiremagazin, Sexblatt und linksradikaler Boulevardzeitung. Mitgründer dieses ungewöhnlichen Presseorgans, das noch existiert, aber schon lange nicht mehr der Rede wert ist, war der Fotograf Günter Zint, und der hat den "Aus(t)druck" nun zusammengestellt. Aust habe sich zu der Publikation wohlwollend geäußert, sagt Zint.
Austs und Tomayers Rubrik hieß "Hein und Fietjes Kommentar", und Aust war "Hein". Die Beiträge seien nicht im Duett entstanden, sondern eigenständig, sagt Tomayer, heute Kolumnist beim Monatsmagazin konkret. Wenn man die Texte "grob" kategorisieren wolle, könne man sagen, dass die locker-satirischen Kommentare von ihm stammten und die agitatorischen von Aust.
Da Aust beim Spiegel als Textschmied nicht mehr aufgefallen ist, verwundert es, dass er seinerzeit permanent in die Tasten gehauen hat. Aber damals war ohnehin vieles anders. Überraschend ist etwa die tendenzielle Pferdefeindlichkeit des heutigen Pferdefreundes Aust. Unter dem Titel "Von Tieren und Menschen" machten sich Hein und Fietje lustig über Schlagzeilen wie "Die APO und das geschändete Pferd". So trauerte die Boulevardpresse einst um Pferde, die durch Pflastersteine oder Molotow-Cocktails von Demonstranten zu Tode gekommen waren.
Die eine oder andere Schlacht, die im Blatt ausgefochten wurde, ruft heute Erheiterung hervor. Im April 1970 wetterten Hein und Fietje beispielsweise: "Jene Emanzipationsschreihälse der sogenannten Frauenpresse, die eine Emanzipation der weiblichen Klitoris gegen den männlichen Penis propagieren, sind arge Reaktionäre. Denn ihnen geht es nicht um die eigentliche Gleichberechtigung von Mann und Frau, die nur eine soziale sein kann." Mit ähnlicher Verve ging es zur Sache, als der "Tag der Deutschen Einheit" (damals noch der 17. Juni) bevorstand: "Die Hausmacherphrasen von wegen 'Terrorregime', 'Mauermörder' etc. ziehen nicht mehr. Längst hat sich das Wirtschaftsgefüge der DDR konsolidiert. Die Zahl überzeugter, bewusster Sozialisten ist enorm gestiegen und geht in die Millionen."
Auch SPD-Parteitage boten Anlass für wütende Attacken: "Früher waren sie für die klassenlose Gesellschaft - heute wollen sie nur noch das klassenlose Krankenhaus. So etwa kann man die kaputte SPD des Jahres 1970 beschreiben." Ein paar Wochen später bekam der Chef der kaputten Truppe, Kanzler Willy Brandt, einen offenen Brief von Hein und Fietje: "Wie Sie sicherlich erfahren haben, unterhält die Regierung der Vereinigten Staaten auf der südvietnamesischen Insel Con Son ein modernes KZ", das sich "von den traditionellen Hitlerischen KZs dadurch unterscheidet, dass die Häftlinge nicht vergast wurden." Ob Brandt den Kollegen Nixon "bitten" könne, "dieses KZ einzureißen"?
Manchmal dominierte auch ein gepflegter Plauderton: "Gestern war Dienstag, und da waren Hein und Fietje und Porno-Peter auf der Alster segeln." Was aus Porno-Peter wurde, ist leider nicht bekannt.
"Ein kleiner Aus(t)druck", 5 Euro plus Versandkosten, www.kiezmuseum.de
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