„Erinnerung wird schärfer“

Ost-Flüchtling liest Nachkriegsgeschichten

■ 71, der Autor stammt aus Ostpreußen und war bis 2002 Deutsch- und Geschichtslehrer in Hamburg.Foto: privat

taz: Herr Stüwe, warum haben Sie über Ihre Kindheit als Ost-Flüchtling in der Lüneburger Heide geschrieben?

Rüdiger Stüwe: Weil es mich nie losgelassen hat. Erste Erinnerungen sind bei einem Weihnachtsfest mit meinen Enkeln hochgekommen. Irgendwann ist daraus die Sammlung „Von Gummibriketts und Heidjern“ geworden, aus der ich heute lese. Letztlich habe ich geschrieben, um meine Eigenheiten zu verstehen.

Zum Beispiel?

Mein Leistungsdenken. Das rührt daher, dass wir als Flüchtlinge 1945 recht frostig im Westen aufgenommen wurden und uns deshalb stark anpassten. Das haben wir über Nicht-Auffallen und Leistung versucht.

Wie alt waren Sie da?

Zwischen sechs und 15.

Sie haben die Geschichten aber erst 30 Jahre später geschrieben. Wie scharf ist da die Erinnerung?

Ich habe ein gutes Gedächtnis – besonders für prägende Erlebnisse, auf denen meine Geschichten ja basieren. Und wegen ortsspezifischer Details habe ich meine Mutter und Freunde aus Schneverdingen befragt.

Hat das Schreiben Ihre Erinnerungen verändert?

Substanziell nicht. Aber sie sind schärfer geworden.

Betrachten Sie sich als Vertriebenen?

Nein. Ich bin Flüchtling und habe mit den Vertriebenen, die eine Versöhnung blockieren, nichts zu schaffen. INTERVIEW: PS

Rüdiger Stüwe und Peter Jensen lesen Nachkriegsgeschichten und diskutieren über Oral History: 20 Uhr, Literaturhaus, Schwanenwik 38