Erhebung entkräftet Vorurteil: Auch Akademikerinnen kriegen Kinder
Das Statistische Bundesamt räumt mit einem Mythos auf: Uniabsolventinnen sind nicht so oft kinderlos, wie häufig behauptet.
Die Forscher haben Fragebögen verschickt und Daten gewälzt. Sie wollten Klarheit in einer oft diskutierten Frage: Wie viele Frauen in Deutschland bekommen keine Kinder? Und sind es wirklich vor allem Akademikerinnen, die nie eine Familie gründen? "Kinderlosigkeit steigt mit dem Bildungsstand an", sagte Sabine Bechtold, die am Dienstag die Studie des Statistischen Bundesamts vorstellte. Sie warnt aber davor, den Effekt überzubewerten.
In der Tat entkräftet die neue Erhebung, an der sich 12.500 Frauen zwischen 16 und 75 Jahren beteiligt haben, manche viel zitierte Behauptung. Sie entlarvt die besonders häufig genannte Zahl, 40 Prozent der studierten Frauen blieben ohne Nachwuchs, als viel zu hoch gegriffen.
In Wahrheit ist die Lage weit weniger dramatisch. Von den Frauen zwischen 40 und 75, die weder eine Berufsausbildung noch Abi oder Fachabi haben, hat laut Studie jede siebte kein Kind. Von den gut gebildeten Frauen ist jede fünfte kinderlos, also 20 Prozent. Und selbst unter den jüngeren Frauen ist Kinderkriegen nicht so unpopulär wie befürchtet. So haben 30 Prozent der Akademikerinnen zwischen 40 und 44 Jahren kein Kind - und 27 Prozent der 45- bis 49-Jährigen.
Überdies ist der Zusammenhang zwischen Bildung und Kinderlosigkeit ein reines Westphänomen. In den neuen Bundesländern haben nicht nur die allermeisten Frauen Kinder. Hier sind es auch gerade die gut gebildeten, die Familien gründen.
Dass sich die Bundesstatistiker jetzt überhaupt um neue Erkenntnisse bemühten, ist auch eine späte Reaktion auf ein deutsches Kuriosum. Wie viele Frauen keine Kinder haben, weiß so genau bislang niemand. Zwar gibt es seit Jahren eine repräsentative Befragung, den Mikrozensus. Er soll auch die Zahl der Kinder ermitteln, ist aber einigen Einschränkungen unterworfen. So galt es als unschicklich, Frauen nach der tatsächlichen Zahl ihrer Kinder zu fragen. Die Befrager notierten nur die Kinder, die mit ihrer Mutter in einem Haushalt leben. Wenn also Sohn oder Tochter früh ausgezogen sind oder beim Vater leben, galt ihre Mutter als kinderlos. Überdies befragten die Mikrozensusexperten nur Frauen bis 39 Jahren nach ihrer Kinderzahl. Eine Frau, die mit 40 doch noch Mutter wird, ist nicht erfasst.
"Ob eine Frau überhaupt Kinder geboren hat, geht aus dem Mikrozensus bislang nicht hervor", sagt Peter Weigl, Vizepräsident des Statistischen Bundesamts. "Gerade das Thema Kinderlosigkeit wird aber aktuell diskutiert."
Wie unzulänglich die Datenlage ist, ist spätestens seit 2006 bekannt. Damals veröffentlichte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung eigene Studien, wonach kaum mehr als ein Fünftel der studierten Frauen kinderlos sind - und verwies auf die Defizite im Mikrozensus.
Die Reaktion aber ließ auf sich warten. Erst in diesem Jahr änderte der Bundestag endlich das Mikrozensusgesetz. Künftig werden alle Frauen zwischen 15 und 75 Jahren nach ihrer wirklichen Kinderzahl befragt.
Spätestens dann dürfte sich die Debatte um die vermeintlich so gebärunwilligen Karrierefrauen versachlichen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben