Erfolgsprämien für Pharmafirmen: Medizin auch für die Ärmsten

Mit einem Prämiensystem möchte Thomas Pogge die medizinische Versorgung in armen Ländern verbessern: Geld gibt es nur, wenn die Medikamente auch tatsächlich helfen.

Erdbebenopfer auf Haiti warten in einer langen Schlange auf medizinische Versorgung. Bild: reuters

BERLIN taz | Millionen Menschen in Entwicklungsländern am Fortschritt der Pharmaindustrie teilhaben lassen - das ist das Ziel eines Projekts des Philosophieprofessors Thomas Pogge aus Yale. Was zuerst wie die romantische Idee eines Universitätstheoretikers klingt, hat bei näherer Betrachtung durchaus Potenzial. Mit einer marktwirtschaftlichen Logik will der Deutschamerikaner das Problem angehen, dass jährlich laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) 18 Millionen Menschen in Entwicklungsländern an behandelbaren Krankheiten wie Tuberkulose, Malaria oder Aids sterben.

Von den 1.400 zwischen 1975 und 1999 neu angemeldeten Medikamenten waren nach Angaben der WHO weniger als ein Prozent für diese vernachlässigten Tropenkrankheiten entwickelt worden.

Diesem Ungleichgewicht will Pogge mit einem Fonds begegnen, der durch ein Prämiensystem die Entwicklung von Medikamenten für vernachlässigte Krankheiten anregen soll. Die Höhe der Bezahlung soll dabei davon abhängen, wie stark das Medikament dazu beiträgt, die "globale Krankheitslast" zu verringern: Je mehr Menschen von einem neuen Wirkstoff profitieren, desto lukrativer wird er.

studierte in Hamburg Soziologie und promovierte 1983 in Harvard bei John Rawls. Thomas Pogge setzt sich seit Jahren für die Rechte der Armen ein und zählt zu den führenden Gerechtigkeitstheoretikern unserer Zeit. Seit 2006 arbeitet er neben seiner Lehrtätigkeit an der Yale University am Health-Impact-Fund-Projekt.

Mit dem TMC-207-Wirkstoff könnte erstmals seit etwa 40 Jahren wieder ein Tuberkulostatikum mit neuem Wirkmechanismus auf den Markt kommen. Es hemmt die Funktion des ATP-Synthase-Enzyms und unterbricht so die Energieversorgung der Tuberkulose-Bakterien. Klinische Studien bescheinigen ihm eine hohe Wirksamkeit.

Um Erfahrungen über die genaue Funktionsweise des Fonds in der Praxis zu sammeln, wird Ende dieses Jahres ein Pilotprojekt starten. Dort soll zunächst erprobt werden, wie gut sich die Wirkung eines Medikaments in einer begrenzten Region messen lässt; Südafrika, Guyana oder Guatemala sind dafür im Gespräch. Pogge und sein Team setzen ihre Hoffnungen für diesen Testlauf auf ein antibiotisches Tuberkulosepräparat mit Namen TMC-207, das kurz vor der Marktreife steht.

Die im Rahmen des Versuchs potenziell auszuschüttenden Prämien für die Urheberfirma könnten über den Global Fund, der unter anderem auf die Bekämpfung von Tuberkulose spezialisiert ist, oder über die Gates Foundation bezogen werden.

Globale Kosten: 6 Milliarden Dollar jährlich

Das Projekt trägt den Namen "Health Impact Fund" und würde das bisherige Patentsystem erweitern: Wenn ein Konzern ein Präparat entwickelt, soll er in Zukunft die freie Wahl haben, es entweder konventionell patentieren zu lassen - die Forschungskosten also durch die Verkaufspreise zu finanzieren - oder es beim Health Impact Fund zu registrieren. Das Medikament würde bei der neuen Variante weltweit produziert und genutzt werden können, auch von Generikaherstellern, die es billig kopieren. Bisher ist genau das verboten.

Über eine Zeitspanne von zehn Jahren wird dann der Effekt des Wirkstoffs gemessen und die Urheberfirma erhält jährlich eine Prämie aus den finanziellen Mitteln des Fonds, die dem Anteil ihres entwickelten Medikaments an den Gesundheitsauswirkungen aller dort gemeldeten Medikamente entspricht.

"Die Einführung des Systems auf globaler Ebene würde zunächst 6 Milliarden Dollar pro Jahr kosten", so Pogge. Diese große Summe ist notwendig, da schon die Entwicklung eines neuen Medikaments laut wissenschaftlichen Studien im Durchschnitt 800 Millionen Dollar kostet.

6 Milliarden erscheinen zwar zunächst wie eine gigantische Summe, aber auch das Budget des Notprogramms des Präsidenten der USA für die Aidsbekämpfung (Pepfar) beträgt nach offiziellen Angaben des Weißen Hauses in diesem Jahr 7 Milliarden Dollar.

"Wenn die Länder, auf die ein Drittel der globalen Wirtschaft entfällt - zum Beispiel einige EU-Staaten oder die USA - 0,03 Prozent ihres Bruttoninlandprodukts beisteuern würden, wäre der Betrag bereits erreicht", sagt Pogge. Es ist ein nicht unerreichbarer Betrag, zumal auch die Industrienationen von preiswerteren Medikamenten sowie medizinischer Forschung, die darauf abzielt, Leiden zu verringern, anstatt Profit zu maximieren, profitieren würden.

SPD setzt sich für Projekt ein

Für die Auszahlung der Prämien muss klar gezeigt werden, wie viel ein Medikament dazu beigetragen hat, die globale Krankheitsbelastung zu verringern. Hierzu soll an einen weit verbreiteten Maßstab angeknüpft werden: die sogenannten qualitätskorrigierten Lebensjahre (QALYs, quality-adjusted life years).

Wenn zum Beispiel in einer stark von Tuberkulose betroffenen Region 50 Prozent der Bevölkerung aufgrund der Krankheit nicht älter als 30 Jahre wird und der TMC-207-Wirkstoff die Zahl auf 20 Prozent reduziert, so lässt sich ein Wert durchschnittlich "geretteter Lebensjahre" finden.

Pogge fasst die Methode zusammen: "Ermöglicht ein Medikament einem Patienten zwei zusätzliche gesunde Lebensjahre, die er ohne den Wirkstoff nicht gehabt hätte, so werden ihm zwei QALYs zugeschrieben".

Die politischen Entwicklungen bezüglich des Fonds sind in verschiedenen Staaten sehr vielversprechend. In Deutschland setzt sich die SPD für das Projekt ein: In einem Antrag fordert sie auf Initiative von Karin Roth, Mitglied des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit im Bundestag, eine Unterstützung des Projekts.

Pogge und sein Team stehen auch in regem Austausch mit Ministerien und Initiativen in Norwegen, Spanien, Kanada und den Niederlanden. Im Februar dieses Jahres sprach sich außerdem die internationale Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) offiziell für den Health Impact Fund aus.

Und auch in den beiden bevölkerungsreichsten Ländern der Erde, Indien und China, fällt die Idee auf fruchtbaren Boden. Dort untersuchen zwei Thinktanks die praktischen Vorteile des Fonds für die beiden Länder. Der Abschlussbericht der bilateralen Kooperation wird in den nächsten Wochen den jeweiligen Regierungen vorgelegt und von diesen diskutiert. Vor allem in China stehen die Zeichen für einen Wandel gut: Die Regierung hat in ihrem aktuellen und nächsten Fünfjahresplan der Reform des Gesundheitssystems hohe Priorität eingeräumt.

"Im rasant wachsenden Bereich der Mitte kann sich die Mehrheit der Bevölkerung selbst preiswerte Medikamente nicht leisten. China könnte hier enorm profitieren", so Miltos Ladikas, Koordinator der internationalen Projektzusammenarbeit für den Health Impact Fund.

Konzerne sollen Monopolrechte abgeben

Im Rahmen des Projekts würden die bisher vernachlässigten Tropenkrankheiten für die Pharmakonzerne zu einer ernstzunehmenden Profitquelle. An dieser geplanten engen Kooperation mit der Privatwirtschaft entzündet sich aber auch Kritik. "Ärzte ohne Grenzen befürwortet die Ausschreibung von Forschungsprämien, wie sie von Pogge vorgeschlagen wird. Wir fordern aber im Gegenzug für die ausgezahlten Prämien einen Verzicht der Konzerne auf ihre Patentrechte", sagt Oliver Moldenhauer von Ärzte ohne Grenzen.

Laut Pogge sollen die Konzerne ihre Monopolrechte auf den Verkauf der neuen Wirkstoffe abgeben, das Patent auf die Substanz an sich aber behalten dürfen. Moldenhauer kritisiert, dass so NGOs und konkurrierende Unternehmen nicht an der Weiterentwicklung und Optimierung der Medikamente arbeiten könnten.

Pogge ist dieser Aspekt bewusst, ein Verzicht der Firmen auf ihre Patentrechte würde die Verhandlungen aber erheblich erschweren: "Derartige Vorhaben können natürlich immer noch etwas optimaler gestaltet werden. Das Problem ist aber, dass wir etwas durchsetzen müssen. Und in dieser Hinsicht sind die Pharmafirmen politisch eindeutig am längeren Hebel."

Einem 2010 veröffentlichten Forschungsbericht der EU-Kommission zufolge werden derzeit im Gesundheitsbereich nur 10 Prozent des Gesamtbudgets für Krankheiten verwendet, die 90 Prozent der Menschen betreffen. Der Health Impact Fund könnte entscheidend dazu beitragen, dass sich dies ändert und die pharmazeutische Forschung anfängt, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

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