Erfahrungen einer Elektrotechnikerin: Wo man Frauen nicht traut
Die Regierung will mehr Frauen in technische Studien holen, doch die Vorurteile sind groß - Erfahrungsbericht einer Elektrotechnikerin.
Wenn Tina Echt (Name geändert) neue Leute kennenlernt, läuft es meistens ganz gut. Bis sie nach ihrem Studienfach gefragt wird. "Elektrotechnik", antwortet die 22-Jährige - und damit sinkt das Interesse an ihr rapide. Denn Elektrotechniker, so das Vorurteil, haben nun mal ein Faible für Modelleisenbahnen und Schaltkreise. In der Freizeit schrauben sie ihre PCs auseinander. Und vor allem: Sie sind männlich.
Tina Echt ist genervt von diesen Vorurteilen. Seit drei Jahren studiert sie Elektrotechnik an der Fachhochschule in Gießen-Friedberg. Ihren Computer hat sie noch nie aufgeschraubt. Eines stimmt allerdings: Die meisten ihrer Kommilitonen sind männlich. Das macht die Sache kompliziert. Elektrotechnik begeistert Tina. Trotzdem würde sie sich nicht noch einmal für dieses Fach entscheiden. "Solange du schlechter bist als deine männlichen Kommilitonen, ist es kein Problem. Schwierig wird es, wenn du plötzlich gut bist. Oder sogar besser."
Frauen in Ingenieurwissenschaften sind eine Rarität in Deutschland. Das soll sich ändern. Denn Bundesregierung und zuständige Berufsverbände haben gemerkt: Das Land leidet unter einem akuten Mangel an fertigen Ingenieuren. Deshalb sollen mehr Frauen die Technik für sich entdecken.
Mit der Qualifizierungsoffensive "Aufstieg durch Bildung" will die Regierung ausdrücklich Frauen in die sogenannten MINT-Berufe locken: Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik sollen auch eine Domäne der Frauen werden. Eine Imagekampagne für die unbeliebten Studiengänge ist geplant. Den Studienablauf zu reformieren ist allerdings nicht vorgesehen. Und genau das könnte das Problem sein - denn das männerdominierte Studium schreckt offenbar ab.
Im Hörsaal gehört Tina zu einer absoluten Minderheit. In ihrem Semester ist Tina eine von drei Frauen - ihr stehen 60 männliche Kommilitonen gegenüber. "Vom Fachlichen her ist es nicht so, dass Frauen das nicht können. Das ist Schwachsinn", sagt Tina, "aber als Frau musst du dich eben immer durchbeißen." Hartnäckig hält sich die Vorstellung, Frauen hätten von Technik keine Ahnung. Sie werde von vielen entweder als Dummchen belächelt, oder sie müsse gegen harten Konkurrenzdruck ankämpfen: "Der Ehrgeiz ist groß, besser als eine Frau zu sein." Tina kann verstehen, warum so viele Frauen vor dem Studium zurückschrecken.
Petra Lucht vom Zentrum für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung an der Technischen Universität Berlin kennt das Problem. "Technik wird nicht mit Weiblichkeit assoziiert. Wenn Frauen sich für ein solches Studium entscheiden, müssen sie immer gegen Stereotype ankämpfen", sagt sie, die selbst Physikerin ist und in Soziologie promoviert hat. Seit 2004 erforscht sie Frauen- und Männerbilder in Naturwissenschaft und Technik. Die neue "Frauen in die Technik"-Initiative überrascht sie nicht. "Die Forderung wird immer wieder erhoben - je nach Konjunktur."
Neben ihrem Studium arbeitet Tina in der Technologieentwicklung eines Gießener Unternehmens. Ihre Abteilung sorgt für eine bessere Sensorleistung von Mikrochips, die Studentin ist die einzige Frau im Team. Als die Testreihen für die Chips schlechte Ergebnisse liefern, schlägt sie einen anderen Kleber vor. "Ja, ja, gute Idee", lautet die Antwort ihrer Kollegen. "Monatelang hab ich mir den Mund fusselig geredet", erinnert sie sich, "niemand wollte den anderen Kleber testen."
Um mehr Frauen in technische Berufe zu holen, wurden in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Programmen aufgelegt, Netzwerke und Initiativen speziell für Frauen gegründet. Geholfen hat es wenig. "Eine deutsche Studentin ist an unserer Fakultät eine echte Exotin", sagt Dharlakshmi Ramsaroop-Yadav. Sie ist seit Oktober vergangenen Jahres wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät für Elektrotechnik und Informatik der Technischen Universität Berlin. Bis vor einem Jahr hat sie hier selbst Informatik studiert. "Während meines Studiums war mir nicht bewusst, dass Frauen anders behandelt werden als Männer", erzählt die junge Frau. "Ich dachte, ich als Person habe das Problem."
Viele Dozenten wissen nicht, wie sie mit Studentinnen in ihren Seminaren umgehen sollen. "Mein Dozent fasst mich mit Samthandschuhen an", sagt Tina - und erzählt, was dann passiert. "Von einigen Kommilitonen bekomme ich zu hören, ich hätte gute Noten, weil ich ein Mädchen bin."
Dharlakshmi Ramsaroop kennt Fälle, in denen Frauen bei Prüfungen deutlich schlechter abschnitten als ihre männlichen Lernpartner. Das könne ein Zufall sein. "Ich habe aber das Gefühl, dass sich Frauen manchmal härter beweisen müssen. Ihnen wird nicht so viel zugetraut."
Tina Echt passt in keine Schublade. Sie interessiert sich für Graffiti und Street Art. Neuerdings spielt sie Dudelsack. Elektrotechnik war für sie nach dem Abitur eine logische Entscheidung. Sie hatte schon Mathe und Physik als Leistungskurse. Das habe ihr einfach Spaß gemacht. Dabei musste sie sich bereits in der Schule gegen blöde Sprüche wehren. Auch heute muss sich Tina immer wieder mit einigen ihrer Kommilitonen herumschlagen. Gar nicht so einfach - denn offene Vorurteile gegenüber Frauen sind selten.
Dienstagmorgen, Tina kommt zu spät in ihre Vorlesung. Normalerweise setzt sie sich in eine der hinteren Reihen. Diesmal lässt sie sich auf einen freien Platz in der ersten Reihe fallen. "Du willst wohl dem Dozenten schöne Augen machen, was?", fragt ein Kommilitone.
"Das Hauptproblem sind heute nicht mehr offen geäußerte Vorurteile gegenüber Frauen", sagt Petra Lucht. "Untergründig wirken die alten Vorstellungen von typischen Männer- und Frauenbildern aber weiter." Gerade in selbst organisierten und eher informellen Studienphasen spiele das eine Rolle. In diesen Abschnitten seien für die Studenten Netzwerke extrem wichtig. "Die Frauen- und Geschlechterforschung hat herausgefunden, dass in diesen Studienphasen die Zugangs- und Aufstiegschancen für Frauen insgesamt geringer sind." Um nachhaltig etwas daran zu ändern, müssen diese Prozesse offengelegt werden. Aber: Das ist besonders schwierig. Dass Frauen nicht dem gängigen Ingenieursbild entsprechen, wird nicht ausgesprochen. Vielen ist ihr Vorurteil vielleicht nicht einmal bewusst.
In Tinas Abteilung bleibt das Technologieproblem bestehen. Die Testergebnisse sind weiterhin schlecht. Tina spricht immer noch von einem anderen Klebstoff. Einer ihrer Kollegen stimmt schließlich zu, eine Testreihe mit dem neuen Kleber zu machen. "Damit ich endlich Ruhe gebe", grinst Tina. Die Ergebnisse sind tatsächlich besser.
"Wir müssen darüber diskutieren, welches Bild wir von einem Ingenieur haben", fordert Petra Lucht. Sie regt an, Freiräume innerhalb des Studiums zu schaffen, in denen das eigene Fach reflektiert werden kann. Das dürften aber nicht nur Gesellschaftswissenschaftler tun, sondern die angehenden Ingenieure und ihre Dozenten selbst. "Wir müssen das Blickfeld erweitern, wer als Ingenieur geeignet ist." Der Berufsalltag sei schließlich vielfältiger, als das Bild vom typischen Ingenieur nahelege. Der Technikfreak, der sich ausschließlich für Spannungsmessungen interessiert, stimmt mit der Realität nicht mehr überein.
Die MINT-Studiengänge haben mehr als nur ein Imageproblem. Wenn Frauen sich für ein solches Studium entscheiden, entscheiden sie sich immer auch für ein Durchkämpfen in der Männerdomäne. Eine Dimension, die die Qualifizierungsoffensive vernachlässigt.
Dharlakshmi Ramsaroop hat deshalb ein spezielles Mentoring-Programm initiiert. Sie will versuchen, alle Studentinnen der Fakultät in einem Netzwerk zu integrieren. "Wir wollen nicht nur fachliche Themen diskutieren, sondern auch soziale Aspekte ansprechen, die in männerdominierten Netzwerken kein Gehör finden." Viele der männlichen Studenten haben ihr Hobby zum Studium gemacht. Die Studentinnen beschäftigen sich in ihrer Freizeit hingegen seltener mit Programmierungen und Schaltkreisen. "Ich gehe zum Beispiel gerne tanzen oder mache Musik", sagt Dharlakshmi Ramsaroop, "Frauen sind in den MINT-Studiengängen nicht so gestärkt durch ihr Umfeld." Sie fordert ein stärkeres Bewusstsein für die Probleme der Frauen. Die Gelegenheit ist günstig: "Ich habe das Gefühl, dass sich hier auch immer mehr zum Positiven entwickelt. Viele der jüngeren Dozenten sind zwar unwissend, aber offen für die Probleme der Studentinnen", sagt sie.
Um in Zukunft tatsächlich mehr Frauen für Technik begeistern zu können, müssen alte Rollenbilder gründlich überdacht werden. Wenn sich an den Vorstellungen darüber, was "typisch" für einen Ingenieur ist, nichts ändert, bleiben Frauen hier Einzelkämpferinnen - selbst wenn sie mal einen Erfolg verbuchen können.
Ein Kollege kommt zu Tina. "Welchen Kleber hast du denn eigentlich benutzt?", fragt er.
"Warum?" Tina gibt sich ahnungslos.
"Weil der wirklich besser ist."
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