Entschuldigung, nichts zu vergeben

Aus der Tiefe des Arbeitsmarktes: Wie 21 Arbeitslose in einem „virtuellen Unternehmenskontext“ versuchen, ihre Fähigkeiten bei der Jobsuche zu optimieren und trotz strahlendem Bewerbungsfoto feststellen: „Wir sind in einer kleinen Sackgasse“

AUS ESSENMANFRED WIECZOREK

„Guten Tag. Können Sie mir sagen, ob es bei Ihnen einen Arbeitsplatz zu besetzen gibt?“ Immer und immer wieder hat Margot Mahler in den letzten Wochen diese Frage den unterschiedlichsten Unternehmen gestellt. Zur Zeit arbeitet die 55-jährige Ingenieurin in einem „virtuellen Unternehmenskontext“. In der Realität allerdings ist sie arbeitslos und Teilnehmerin eines Modellprojekts für ältere Langzeitarbeitslose im Berufsförderungszentrum (BfZ) Essen. Projekttitel: Selbstvermarktung im virtuellen Unternehmenskontext. Dort soll sie ihre eigene und die Arbeitskraft von 21 KollegInnen vermarkten, um wieder Arbeit zu finden. In NRW gibt es 32 dieser Projekte für über 50-jährige Langzeitarbeitslose, die einen technischen oder kaufmännischen Beruf erlernt haben. Viele von ihnen haben sich weiterqualifiziert, um den Anschluss an neuere Entwicklungen nicht zu verlieren.

„Der Vorschlag kam vom Arbeitsamt“, sagt Rainer Trant, 55 Jahre, Schriftsetzer und Mediengestalter. Inzwischen ist sein Lebenslauf optimiert, ein strahlendes Lächeln auf dem Foto, ein langes Arbeitsleben knackig auf den Punkt gebracht. „Wir haben das alles selbst erarbeitet. Auch die Fotos haben wir geschossen“, erklärt er. Gefeilt habe man an den Bewerbungen, immer wieder Fotos gemacht. Frontalunterricht gäbe es nicht. Die Gruppe solle sich alles selbst erarbeiten. Der eine ist fit am PC, die andere lässt sich am Telefon nicht abwimmeln und ein guter Fotograf ist auch dabei. „Alle für einen und einer für alle“, beschreibt Dietmar Stifter die Philosophie des Projekts. Er ist Ingenieur mit Auslandserfahrung.

Dass zwischen Anspruch und Wirklichkeit Welten liegen, wissen Projektleiter Klaus Uehren und der Psychologe Rüdiger Ludwikowski nur zu gut. Verbesserungen am Lebenslauf oder dem Bewerbungsschreiben seien nicht das Problem. Spannend werde es bei gruppendynamischen Prozessen und Phasen der Selbstreflexion. Am Anfang des Projekts bat Rüdiger Ludwikowski die TeilnehmerInnen zu schildern, wie sie damals über Arbeitslose dachten. „Schulterzucken, skeptische Blicke und die Frage, was das denn soll, waren die Reaktionen“, erinnert sich der Psychologe.

Arbeitslose sind faul, schlecht qualifiziert und selbst schuld an ihrem Schicksal? Diese Vorurteile steckten auch in den Köpfen der ProjektteilnehmerInnen. Insolvenzen, Rationalisierungen und Betriebsverlagerungen machten sie schließlich selbst zu Arbeitslosen, erschütterten so manche Biografie. „In den letzten Wochen haben wir zu mehr als 2.000 Unternehmen Kontakt aufgenommen“, blickt die 53-jährige Einzelhandelskauffrau Anneliese Landwehr zurück. Die gelben Seiten des Telefonbuchs rauf und runter telefonieren, im Internet suchen, die von der Industrie- und Handelskammer erhaltenen Adressen durchkämmen. „Wir wollen an die Stellenangebote kommen, bevor sie in der Zeitung oder in den Jobbörsen stehen“, erläutert sie.

Wirklich alles hätten sie versucht. Neue Gewerbegebiete abgefahren, recherchiert, wer in leer stehende Büroräume einzieht. Das Ergebnis? Ernüchternd. Die schlechte Ertragslage, die lahmende Konjunktur, der Konkurrenzdruck. „Tut uns Leid. Vielleicht kommen wir später auf Sie zu“, schildert die 53-Jährige Reaktionen. Der fehlende Kündigungsschutz für über 50-Jährige und Fördergelder der Arbeitsagentur, die Bereitschaft weniger zu verdienen. „Hilft alles nicht. Es gibt keine Arbeitsplätze. Das Ganze hier ist eine Beschäftigungstherapie, um uns ruhig zu halten“, sagt Dietmar Stifter.

Unten durch ist die Politik nicht erst seit der Reaktion des Essener Oberbürgermeisters Dr. Wolfgang Reiniger (CDU). Ihn hatten die ProjektteilnehmerInnen um Hilfe gebeten, etwa durch Schirmherrschaft. Zwar lobt der Oberbürgermeister das Engagement der Arbeitsuchenden, stellt aber im schönsten Bürokraten-Deutsch fest: „Das Instrument einer Schirmherrschaft als heraushebende ideelle Protektion eines Ereignisses wird die ihm zugedachte Bedeutung in der öffentlichen Bewertung nur bewahren können, wenn durch die Praxis seiner Anwendung der Ausnahmecharakter einer solchen Geste deutlich wird.“ Dietmar Stifter würde am liebsten mit dem Knüppel dazwischen fahren. „Natürlich nur verbal“, schwächt er ab.

Sein Projektkollege Helmut Sablotny ist seit Wochen bei den Montagsdemos gegen Hartz IV dabei. „Die SPD sollte sich nicht wundern, wenn es bei den Landtagswahlen im Mai die Quittung gibt“, sagt er. Daran, dass „die Anderen“ es besser könnten, glaubt niemand. „Dieses Pendeln zwischen Wut, Frust und Ohnmacht – das sind die schwierigsten Momente in der Gruppe“, sagt Projekt-Coach Ludwikowski. Immerhin hätten es ja drei geschafft. Der ehemalige Bauleiter Günther Bonsiepe wird Lagerverwalter beim Essener Kessel- und Anlagenbauer Oschatz. Ihm fehlen zwar noch Computerkenntnisse, doch die will er mithilfe des BfZ erlernen. Befristet haben zwei weitere TeilnehmerInnen eine neue Beschäftigung gefunden. Soweit wie diese Drei sollten in dieser Projektphase auch die Anderen sein. Den Arbeitsvertrag in der Tasche, dann noch ein wenig Feinschliff durch Fortbildungen für den jeweiligen Arbeitgeber.

Doch niemand sonst hat es geschafft. Im Sommer droht der Absturz in das Arbeitslosengeld II. Vier wollen dem durch Selbstständigkeit entgehen: „ruhr navigator“ heißt die Idee von Klaus Barczyk, Dietmar Stifter und Rainer Trant. Sie wollen eine Tourenplanung für die touristischen Regionen Deutschlands anbieten und mobile Navigationsgeräte vermieten. Die Steuergehilfin und Finanzbuchhalterin Ute Rieper will Finanzdienstleistungen für private Haushalte anbieten, zum Beispiel Sparmöglichkeiten bei den monatlichen Fixkosten finden.

Und die siebzehn anderen ProjektteilnehmerInnen? „Wir sind in einer kleinen Sackgasse“, sagt der betreuende Psychologe. Doch erste Ideen gibt es schon. Eine eigene Homepage, Erfahrungsaustausch mit den anderen 31 Projekten, auch an eine Vereinsgründung sei gedacht. „Wir haben noch nicht aufgesteckt“ sagt Margot Mahler. Ihr Blick fällt auf das Telefon im Projektraum. Es klingelt viel zu selten. Noch hoffen alle, dass ein Arbeitgeber anruft und sagt: „Guten Tag. Bei uns gibt es einen Arbeitsplatz zu besetzen .“