wortwechsel
: Entschuldigen Linke islamistische Ideen?

Ein taz Essay thematisierte am ersten Wochenende im neuen Jahr ein Tabu: Aus Angst,
als rassistisch zu gelten, vermeiden etliche Linke eine klare Solidarität gegen Islamisten

Gegendemo: SchülerInnen in Hamburg gegen eine Demonstration mit dem Motto „Gegen Respektlosigkeit gegenüber unserem Propheten Muhammad“ Foto: Daniel Reinhardt/dpa

„Die Linke und der Islamismus: Selektive Erblindung. Das Glück des Salman Rushdie oder warum linke Solidarität gegen Islamisten keine Selbstverständlichkeit mehr ist“, taz vom 2./3. 1. 21

Hervorragende Analyse

Sehr geehrte Frau Mertins, ich möchte Ihnen sehr zu Ihrem Artikel gratulieren. So erschreckend es ist: Ich finde, Sie treffen den Nagel voll auf den Kopf. Hervorragende Analyse, vielen Dank!

Marion Kinzig, Frankfurt am Main

Distanz zu Israel?

Der Hauptgrund des Abrückens „der Linken“ von Israel liegt bei den israelischen Eroberungen von Gazastreifen, Westbank und Golanhöhen im Jahr 1967 und deren bis heute fortdauernder völkerrechtswidriger Besatzung und Besiedelung. Von daher kann man „der Linken“ keine selektive Erblindung vorwerfen. Dass kritische Intellektuelle und homosexuelle Aktivisten von Islamisten verfolgt werden, das stimmt, aber sie werden auch vom Staat verfolgt. Gründe, Journalisten zu inhaftieren, sind dann offiziell „Verbreitung falscher Nachrichten und die Diffamierung des Staates“ wie in Ägypten, wo zahlreiche Journalisten im Gefängnis sitzen. Gleiches geschieht aber übrigens auch in Israel, was einen weiteren realen Grund für Linke darstellt, von Israel abzurücken. In Israel wird die Praxis der Administrativhaft angewandt, die dafür sorgt, dass Menschen ohne Anklage, ohne Beweise für Verbrechen oder Vergehen vorzulegen, für lange Zeiträume und ohne Perspektive festgehalten werden, wie Mohammad Al-Halabi, Sozialarbeiter aus Gaza, der für die Organisation World Vision arbeitet. Übrigens sollte der Mord an Samuel Paty nicht als „Hinrichtung“ bezeichnet werden, denn das ist ganz im Sinne der Islamisten, mit denen Frau Mertins vielleicht etwas zu oft Tee getrunken hat.

Manuela Kunkel, Stuttgart

Todessehnsucht

Ihre Autorin hat Recht: Islamismus und Faschismus sind sich sehr nah. Sie haben die Todessehnsucht und Mordlust gemeinsam. Die taz ließ am 17. 5. 2003 den US-Intellektuellen Paul Berman („Terror and Liberalism“) in einem Interview zu Wort kommen. Berman erwähnte den Al-Qaida-Vordenker Said Qutb, der eine Frage folgendermaßen beantwortete: „Und die ultimative Reinheit findet man nur im Tod.“ Silke Mertins meint, dass man bei den Islamisten wisse, woran man ist. Sie würden nichts verschleiern. Doch! Sie versuchen, wie alle gewaltbereiten Ideologen, hinter einer Nebelwand von Sprüchen zu verbergen, dass ihr Drang zum Töten in ihnen selbst, in ihrer beschädigten Mitmenschlichkeit gründet.

Udo Grönheit, Berlin

Fakt oder Unterstellung?

Es wäre schon richtig gewesen, konkrete Beispiele aufzuzeigen, wann und wo Linke Islamisten tendenziell als Mitstreiter betrachten, denn das ist schon eine ziemlich üble Unterstellung. Martha auf taz.de

@Martha Nehmen wir als Beispiel mal das neu geschaffene Institut für Islamische Theologie der Humboldt-Universität Berlin, grundsätzlich auch eine gute Sache. Von Rot-Rot-Grün (RRG) stark gefördert. In den dazugehörigen Beirat wurden berufen: der Zentralrat der Muslime in Deutschland, die Islamische Föderation und die Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands. Alles konservative bis „sehr“ konservative Vereinigungen, liberale Muslime wurden von denen erfolgreich verhindert. Was diese Vereinigungen propagieren, weiß RRG ganz genau. Das ist ein ziemlich umfangreiches Thema, aber dass Linke, auch in Regierungsverantwortung, mit Islamisten bei gewissen Punkten zusammen­arbeiten, ist ein Fakt und keine Unterstellung. Sven Günther auf taz.de

Schweigt sie weg

man sollte diesem autor und anderen autor*innen, die religiöse gefühle verletzen, erstens schutz vor gewalt garantieren und ihnen zweitens kein forum geben. am besten ist es, man schweigt sie weg. das ist politisch am klügsten und auch für die menschenrechte am besten. diese strategie minimiert das blutvergiessen und sie verhindert, dass sich empathielose demagogische religionskritik und empathieloser pseudoreligiöser fanatismus gegenseitig hochschaukeln.

Satgurupseudologos auf taz.de

Salman Rushdie

was hat Rushdie mit zionismus zu tun? ist nicht auch die herstellung solch einer verbindung ausdruck selektiver erblindung?

Christine Rölke-Sommer auf taz.de

@was hat Rushdie mit zionismus zu tun? Nichts, außer dass er sich vor allem Islamisten zu Feinden gemacht hat. Die sind sicher auf Zionisten ganz besonders schlecht zu sprechen, behalten ihren Hass aber offenkundig nicht nur diesen vor. Der Artikel enthält keinerlei blinde Feind-meines-Feindes-Logik. Er wirft sie allenfalls jenen vor, die sich als bloße „Antizionisten“ verstehen und nicht merken, wie viel ethisches Kapital sie verspielen, indem sie Islamisten unkritisch oder sogar tendenziell als Mitstreiter behandeln. Normalo auf taz.de

@Normalo Alles sehr deutsch, das ganze. könnte damit zu tun haben, dass sich deutsche, normalos wie studenten, noch nie besonders für antizionismus (der entstand in dem moment, in dem der politische zionismus in die welt kam, und zwar als jüdischer wie als palästinensischer) interessierten – und für antikolonialen widerstand auch nicht. bei de Beauvoir und Sartre war das anders.

Christine Rölke-Sommer auf taz.de

Pinoccio-Linke?

Zur Zeit, als Salman Rushdies Satanische Verse erschienen, war die Welt noch eine andere. Es gab „in der politischen Linken“ eine deutlich umfangreichere Diskussion um Religionsfragen, auch im christlichen Spektrum. Marxismus und Christentum waren ein Thema, christlich verordnetes „Frieden schaffen mit und ohne Waffen“ aus den 1980er Jahren war für linke

Christen ein No-go.

Aber hat sich „die politische Linke“ je inhaltlich mit den Elementen des Islam beschäftigt? Was Sie als Islamismus beschreiben, ist nach meiner Ansicht Fundamentalismus, den es im Übrigen in zunehmendem Maße auch in den christlichen Religionen gibt, und dieser Fundamentalismus macht blind und dumm.

Warum dieser Trend zum Fundamentalen so groß ist, das könnte mensch marxistisch dialektisch als Sinnkrise identifizieren; dann muss sich „die politische Linke“ aber auch an die eigene Nase fassen und prüfen, ob sie nicht zu Pinocchio verkommen ist. Wir leben in einem Land, in dem es als Solidarität verstanden wird, wenn weltumspannende Konzerne Milliarden bekommen und trotzdem noch Zehntausende in die Arbeitslosigkeit entlassen, einem Land, in dem anonymisierte Firmenkonglomerate Mieterrechte unterlaufen und es für Leistungserbringer oftmals unmöglich machen, noch in den Städten zu wohnen.

Der von Ihnen völlig richtig identifizierte zunehmende Verlust an Meinungsfreiheit hat einen wesentlich tieferen Hintergrund, der nicht nur durch eine Änderung der Wahrnehmung des Kulturrelativismus behoben werden kann.

Uwe Müller, Berlin