Entscheidung über US-Rettungspaket: Repräsentantenhaus im Zugzwang
Mit Dreiviertelmehrheit stimmt der US-Senat dem 700 Milliarden Dollar-Programm zur Rettung der Wirtschaft zu. Am Freitagabend sind die Abgeordneten dran. Was mit dem Geld passieren soll.
Das milliardenschwere Rettungspaket hat am Mittwochabend den Senat passiert. Für den Freitag wird erwartet, dass jetzt auch das Repäsentantenhaus das umstrittene Vorhaben absegnen wird - immerhin steht es unter dem Druck des eindeutigen Senatsvotums von 74:25. Es besteht die Hoffnung, dass das US-Wirtschaftsleben damit aus der Starre und das Land aus seiner Kredit-Eiszeit befreit werden kann.
Zuvor war das Hilfpaket beim ersten Anlauf im Repräsentantenhaus am Montag gescheitert. Ein Schock für die Administration von US-Präsident George W. Bush. Dass Finanzminister Henry Paulson und US-Notenbankchef Ben Bernanke, die Autoren des Rettungspakets, so grandios gescheitert waren, hatte auch Anleger in Panik versetzt und den Dow Jones Index kurzfristig auf eine historische Talfahrt geschickt. Seitdem haben sich amerikanische und internationale Börsen wieder besonnen. Der Optimismus scheint zurückgekehrt, denn der US-Regierung und der Wirtschaftslobby ist es schließlich doch gelungen, den Kongress in Zeiten des Wahlkampfes zu diesem ganz und gar unbeliebten Schritt zu bewegen.
Worum also geht es im Detail? Das ursprüngliche Paket, dass Paulson den Bankausschüssen des Kongresses am 18. September vorlegte, hatte nur dreieinhalb Seiten umfasst. Darin ging es um wenig mehr als die Forderung nach 700 Milliarden US-Dollar Sanierungsgeld bei gleichzeitiger Nichteinmischung der Regierung, wie und wo Paulson diese Summe in Zukunft ausgeben werde.
Die Kompromissversion, die der Senat am Mittwoch absegnete, ist auf 451 Seiten angeschwollen. Hinzugekommen sind vor allem angemessene Überprüfungsrechte für das Parlament sowie "Süßstoff im Wert von 150 Milliarden US-Dollar". Damit sind Steuersenkungen beispielsweise für Energie aus erneuerbaren Quellen wie Wind oder Sonne gemeint, aber auch etwa die Streichung von Verbrauchssteuern auf Kinder-Holzpfeile. Letztere haben mit dem eigentlichen Rettungspaket nichts zu tun haben, sollen aber aufgebrachte Wähler zuhause im Wahlkreis besänftigen. Diese Anreize wurde vor allem für diejenigen konservativen Abgeordneten hineingeschrieben, die noch am Montag mit Nein gestimmt haben - zumeist Republikaner aus sehr konservativen Wahlkreisen und einer kleinen Minderheit von rund 50 Demokraten aus links-liberalen Wahlkreisen, denen der Plan zu unsozial war.
Der Kern des Rettungspaketes ist ein Fonds aus milliardenschweren Staatshilfen, die aus Steuereinnahmen und Staatsanleihen kommen sollen. Es ist just diese Idee der staatlichen Einmischung in das freie Spiel des Marktes, die in den Augen zahlreicher Republikaner so schlimm wie Kinderschändung ist. Das Vorhaben sei "unamerikanisch", hatten etliche konservative Politiker geschnaubt. Auch die US-Bevölkerung ist sauer, an spontan gegründeten Protest-Organisationen, wie zum Beispiel VoteNoBailout.com, mangelt es nicht.
Der Fonds soll es dem US-Finanzministerium ermöglichen, faule Immobilienkredite und darauf basierende Wertpapiere aufzukaufen. Bedingung ist, dass diese vor dem 14. März 2008 ausgegeben wurden. Der Staat plant, diesen "Giftmüll" so lange zu halten, bis das Vertrauen in die Märkte zurückgekehrt ist und sich wieder Käufer für die im Prinzip durchaus mit realen Gegenwerten versehenen Papiere finden. Gefüllt werden soll der Fonds durch die Ausgabe neuer US-Staatsanleihen. Das hat zur Folge, dass sich der ohnehin aufgrund des Irak-Krieges schon klamme Staat zusätzlich verschuldet. Damit das überhaupt legal machbar ist, wurde extra die gesetzlich festgelegte Höchstgrenze der US-amerikanischen Staatsverschuldung angehoben. Die Staatsanleihen werden vermutlich hauptsächlich im Ausland verkauft werden, da Sparquote der US-Amerikaner sensationell gering ist. Wie schon die erste Erweiterung des ursprünglichen Paulson-Planes vorsah, soll der Finanzminister die geforderten 700 Milliarden US-Dollar aber nicht auf einmal bekommen. 250 Milliarden erhielte er bei Verabschiedung des Pakets sofort. Weitere 100 Milliarden müssten vom Weißen Haus genehmigt werden. Die restlichen 350 Milliarden könnten vom US-Kongress blockiert oder freigegeben werden. Dies hatten vor allem demokratische Abgeordnete gefordert, die nicht mit dem Gedanken leben wollten, dass ein Finanzminister - sei es Paulson oder ein Nachfolger - wie ein Ludwig XIV. mit Cash ausgestattet und ohne parlamentarische Aufsicht schalten und walten könnte.
Der Aufkauf der faulen Kredite soll über vom Finanzministerium beauftragte Vermögensverwalter laufen. Ihre Aufgabe wäre es, die in Frage kommenden Wertpapiere in einer Art umgekehrten Auktion zum niedrigst möglichen Preis von Banken und Pensionskassen zu kaufen - und später, wenn sich die Lage wieder stabilisert hat, gewinnbringend wieder zu verkaufen. Problem: Da es für solche Produkte keinen Markt gibt, kennt auch niemand den ralen Marktpreis eines faulen Kredits.Gleichzeitig soll sichergestellt werden, dass kein Verkäufer schlechter Kreditpakete mehr dafür bekommt, als er ursprünglich bezahlt hat.
Ein weiterer Kompromiss, den die Parlamentarier Paulson abgehandelt haben, ist der, dass der Staat für seine Rettungsaktion so genannte stimmrechtslose Aktion an den veräußernden Banken und Wall Street-Firmen erhält. Dadurch soll die Allgemeinheit später davon profitieren, wenn - und falls - es den Firmen später wieder besser geht. Eine der ersten Forderungen, die aufgebrachte demokratische Abgeordnete durchsetzten, ist die Kürzung von Abfindungssummen für Manager just jener Banken, denen nun aus der Klemme geholfen werden soll. Die Regelung für die so genannten Goldenen Fallschirme soll aber nur für die "fünf bestverdienenden Angestellten" eines Unternehmens gelten - und wird daher wohl kaum eine Revolution in Sachen Managergehälter erzwingen.
Änderungen erzwang der Kongress auch bei den Buchhaltungsregeln. Dazu soll die US-Börsenaufsicht SEC mit der Revision der Vorschriften beauftragt werden, die Banken wären aufgefordert, alle Vermögenswerte nach Marktpreisen zu bewerten - das soll die Geldinstitute zwingen, Abschreibungen vorzunehmen, wenn die Kurse an der Börse fallen. Das dadurch verminderte Eigenkapital müssten die Unternehmen durch Kapitalaufnahme ausgleichen. Problem: Im derzeitigen Angst- und Misstrauen gefüllten Kreditklima ist das nur schwer machbar.
Die demokratischen Abgeordneten und Senatoren beteuerten stets, im politischen Tauziehen um das Rettungpaket gehe es in erster Linie um Main Street, also die kleinen Steuerzahler, statt umdie Finanzhaie in der Wall Street. Deshalb setzten sie sich dafür ein, dass die drohende Zahl der Zwangsversteigerungen möglichst klein gehalten wird. Hausbesitzern mit Hypothekenkrediten soll etwa mit Hilfe von Garantien zu günstigen Umschuldungen verholfen werden.
Ohne auf die möglicherweise noch verschleppte Verabschiedung des Rettungpaketes zu warten, hatte die US-Regierung bereits zwei wichtige Änderungen vorgenommen, die Kritiker bereits seit langem gefordert hatten: Sie hat die Einlagensicherung für Privatkonten von US-Amerikanern über den staatlichen Fonds Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC) von 100.000 auf 250.000 Dollar erhöht.
Zudem plant sie Steuererleichterungen insbesondere für den Mittelstand. Das kommt vor allem bei Politikern an, deren Klientel aus Kleinunternehmern besteht. Es treibt jedoch den Preis der Sanierung des US-Finanzsystems weiter in die Höhe.
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