Entkleideter Blues : Leiden am Staubigen
Nils Schuhmacher
Der Claim der finnischen Melancholie wird ja immer mal bemüht. Die Tonleiter beginnt bei der hohen Selbsttötungsrate im Lande (die so hoch ja gar nicht ist), führt über die Kaurismäki-Brüder (die superkultig-schräge dunkle Stimmungen inszenieren) und endet bei finnischem Tango (der verschroben wie in unendliche Traurigkeit gebadet scheint). Für Mirel Wagner ist in dieser Aneinanderreihung herrlicher Klischees nicht unbedingt auf Anhieb Platz. Man mag ihre Musik düster, traurig, gar melancholisch nennen, geografisch und sozial kommt einem aber eher ein Leiden im und am staubigen Südwesten der USA in den Sinn – und nicht Helsinki, wo Wagner aufgewachsen ist. Wohl deshalb sorgte das Debüt 2011 für Furore. Denn die damals 23-Jährige kam mit ihrem tiefen, leicht angekratzten Gesang so derart abgeklärt rüber, wie es eben selten ist.
Minimalistisch, geradezu provozierend stoisch zupfte die Frau auf ihrer Akustik-Gitarre herum und schuf im wahrsten Sinne des Wortes entkleidete Blues-Songs, die nicht einfach nur düster klangen, sondern dabei auch vollkommen unprätentiös. Die Erwartungen an das zweite Album dürften entsprechend hoch gewesen sein. Enttäuscht wurden sie nicht – aber auch nicht einfach bedient. Tatsächlich setzt „When the Cellar Children see the Light of Day“ das Geschehen zwar fort, aber radikalisiert es in gewisser Weise auch. Die bisherige Kargheit der Songs wurde – was schon schwer möglich war – weiter skelettiert. Neben Wagners Gitarre und Stimme finden nur noch einzelne gospelartige Choreinsprengsel Platz. Und vor griffigen Songs dominiert Atmosphäre. Vic Chesnutt grüßt Nick Cave von einem Lagerfeuer, das nur noch glimmt (Do, 17. 2., 20 Uhr, Resonanzraum)