Energiekonzern Gazprom: „Wir bezahlen die Kreml-Clique“
Gazprom agiert als verlängerter Arm der Kreml-Kleptokratie, sagt der Journalist Jürgen Roth. Das müssten auch Schalker und Sozialdemokraten begreifen.
taz: Herr Roth, schauen Sie eigentlich gern Spiele von Schalke 04?
Jürgen Roth: Ja, wenn ich mich fürchterlich ärgern will. Schalke macht Propaganda für einen Konzern, der für undemokratische Verhältnisse mitverantwortlich ist. Für ein positives Image viel Geld zu bezahlen, aufgebaut auf der Naivität der Fans – darin ist Gazprom durchaus effektiv.
Sie haben gerade ein Buch über Gazprom veröffentlicht. Hat sich der Gigant schon gemeldet?
Jürgen Roth: Nein. Gazprom hat bei einer anderen Geschichte gesagt, zu Roth gebe man keinen Kommentar ab.
Wenn man heute ein Buch über Gazprom schreibt – auf welche Schwierigkeiten stößt man da konkret?
Auf Angst bei Managern, die mit Gazprom in Geschäftsbeziehungen stehen; und bei Kollegen aus Osteuropa, die nicht über Gazprom berichten wollen, weil es zu gefährlich ist, wenn man zu vermuteten mafiosen Machenschaften von Gazprom-Tochtergesellschaften recherchiert.
geb. 1945, arbeitet seit 1971 als investigativer Journalist. „Gazprom – das unheimliche Imperium. Wie wir Verbraucher betrogen und Staaten erpresst werden“ ist gerade im Westend-Verlag erschienen.
Das heißt, es gibt einen grundlegenden Unterschied etwa zu einer Recherche zur planmäßigen Korruption bei Siemens?
Gazprom ist fest eingebunden in die Machtpolitik der Kreml-Kleptokratie, also in ein undemokratischen System. Deshalb ist Gazprom kein normaler Multi, mit all den üblichen dreckigen Machenschaften. Das scheint man hier immer noch nicht zu begreifen.
Gazprom hat zuletzt Interesse an dem griechischen staatlichen Gaskonzern Depa bekundet. Was halten Sie davon?
Ein Konzern wie Gazprom findet in einem korrupten oder wirtschaftlich labilen System einen sehr fruchtbaren Boden vor. Das illegal erwirtschaftete Geld, mit dem solche Ankäufe – nicht nur auf Gazprom beschränkt – getätigt werden, ist eben keine normale Investition. Es zerstört den freien Wettbewerb, nicht nur in Griechenland. Gazprom – das darf man ja nicht vergessen – arbeitet auch mit dem, was ich politische Erpressung nenne.
Zum Beispiel?
Putin hat dem bulgarischen Ministerpräsidenten Bojko Borissow gesagt, entweder Gazprom darf hier investieren oder die Bulgaren werden einen kalten Winter erleben. Und er hat es ernst gemeint.
Welche Rolle spielt denn Deutschland in dieser Sache? Wer leidet hier? Mit unseren Gasrechnungen zementieren wir alle die Kleptokratie in Russland. Wir bezahlen die riesigen Besitztümer, die Milliardeneinnahmen der Bosse und der Kreml-Clique.
Und die für den Lobbyisten Gerhard Schröder?
Das ist eher ein Fall von nicht vorhandener politischer Ethik, auch bei Herrn Voscherau, der vor kurzem Chef von South Stream geworden ist. Im Grundsatzprogramm der SPD steht: „Mit ihrer durch Kartelle und Verbände noch gesteigerten Macht gewinnen die führenden Männer der Großwirtschaft einen Einfluss auf Staat und Politik, der mit demokratischen Grundsätzen nicht vereinbar ist. Sie usurpieren Staatsgewalt.“ Genau für dieses System arbeiten die beiden SPD-Repräsentanten.
Also muss man sie rauswerfen aus der SPD?
Ja, natürlich. Aber führende SPD-Politiker, die ich gefragt habe, wie sie zu dem Engagement Schröders bei Gazprom stehen, haben allenfalls gesagt, dass sei dessen Privatsache. Das zeigt die Feigheit der SPD-Granden.
Und die Staatsanwaltschaft?
Welcher vom Justizministerium abhängige Staatsanwalt wird sich der Mühe unterziehen, hier genauer hinzuschauen? Das erworbene Machtwissen und die geknüpften Netzwerke während seiner Zeit im Amt wird Schröder nach menschlichem Ermessen nicht außen vorgelassen haben.
Deutschland bezieht nur ein Drittel seines Erdgases aus Russland. Wo ist das Problem?
Wollen wir weiterhin akzeptieren, dass die ethische Prostitution, also das skrupelloses Profitstreben von Energiemonopolen jegliche ethische Verantwortung ersetzt? Dafür stehen sowohl Gazprom als auch die Expolitiker und Konzernchefs, die mit Gazprom Geschäfte machen. Es gibt ein bislang wenig beachtetes Kartell der Energiekonzerne für Europa, in dem Absprachen getroffen werden. Es ist der European Business Congress e.V. Da sitzt Gazprom in den entscheidenden Positionen. Das Büro dieser Organisation befindet sich übrigens in Berlin. Hier werden die Strategien der Profitmaximierung diskutiert, und zwar unter der Fuchtel von Gazprom. Wir können auch nicht so tun, als gebe es Polen, Ungarn, Bulgarien, Rumänien, Kroatien oder Serbien nicht – die sind zum überwiegenden Teil vom Gas aus Russland, also von Gazprom, abhängig und erpressbar.
Wie kommen wir aus dieser Falle raus?
Für die Staaten, aus denen wir Gas beziehen, müssen dieselben Transparenzregeln gelten wie hier. Die Regierungen der Förderländer müssen alle Gaseinnahmen öffentlich machen und Verschiebungen der Einnahmen aus dem Gasgeschäft auf Offshore-Firmen blockieren. Dafür könnte man ihnen technische Hilfe bereitstellen. Die deutschen Konzerne und Banken, die dort prächtige Geschäfte machen, werden allerdings die Letzten sein, die so etwas unterstützen.
Inwiefern ist in deutschen Ermittlerkreisen Problembewusstsein vorhanden?
Es ist da, aber die finanziellen wie personellen Ressourcen im Bereich der Wirtschaftskriminalität, unter anderem auch der Geldwäsche, werden immer weiter beschnitten. Aber was könnten sie schon machen, wenn in Russland Topkriminelle unter staatlichem Schutz stehen?
Könnte eine demokratische Regierung in Russland daran was ändern?
Es gibt unabhängige Richter und Staatsanwälte in Russland. Mit einer anderen Regierung könnten die tätig werden. Auch unter den Intellektuellen wird der Raubbau am Volksvermögen erkannt und verurteilt. Wir müssen die Bürgergesellschaft in Russland und in den anderen sowjetischen Nachfolgestaaten massiv unterstützen – in unserem eigenen Interesse.
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