Energie-Subventionen: Die Schlacht um die Strom-Milliarden
Die Atomindustrie sagt, erneuerbare Energien sind zu teuer. Dabei ist Atomstrom nur so billig, weil er mit 164,7 Milliarden Euro subventioniert wurde.
BERLIN taz | Wird in Deutschland über Energie diskutiert, gibt es ein festes Ritual: Kurz bevor der Bundestag oder die Regierung vor wegweisenden Entscheidungen steht, bringen die Interessenverbände ihre Institute in Stellung. Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) ist regelmäßig mit Horrorzahlen über die Förderung regenerativer Energien dabei.
Jüngst schrieb das RWI ganz im Sinne der vier großen Energiekonzerne RWE, Eon, Vattenfall und EnBW über die positiven Effekte der Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken: geringere Strompreise, weniger CO2, mehr Beschäftigung und kein Einfluss auf den Ausbau regenerativer Energien. Präsident der Gesellschaft der Freunde und Förderer des RWI ist Rolf Pohlig, Mitglied des Vorstands von RWE.
Das Mantra der vier großen Energiekonzerne, eine "bezahlbarer Energieversorgung" sei nur mit längeren AKW-Laufzeiten möglich, erinnert an das alte Bild von der Solar- oder Windkraftanlagen als Subventionen fressenden teuren Ökospaß. Hinzu kommt das "Energiekonzept", das die Bundesregierung derzeit erarbeitet: Öffentlich bleibt der Eindruck hängen, als hätte es bisher kein Konzept gegeben.
Bereits beschlossenes Ziel der Bundesregierung aber ist es, bis 2020 in Deutschland 30 Prozent des Stroms durch regenerativen Strom zu erzeugen. Laut einer Studie des Bundesumweltministeriums werden es wahrscheinlich 40 Prozent werden, bis 2030 dann sogar 66 Prozent. Kosten dafür in den nächsten beiden Dekaden: 142 bis 182 Milliarden Euro auf dem Preisstand von 2010.
Die Zahl entsteht je nachdem, wie sich die Differenz der Kosten zwischen fossiler und regenerativ erzeugter Energie entwickelt: Je teurer Kohle oder Erdöl wird, desto eher rechnen sich die momentan noch teureren Wind- oder Solarkraftwerke. Von 2000 bis 2009 flossen zudem knapp 49 Milliarden Euro in die Förderung der erneuerbaren Energien. Sie ist keine staatliche Subvention, sondern wird von den Stromkunden getragen. Mit rund 2 Cent pro Kilowattstunde macht das derzeit circa zehn Prozent der Stromrechnung aus.
Atomkraft ist derzeit deshalb billiger, weil die Kraftwerke alt sind: Längst haben die Konzerne die anfänglich sehr hohen Investitionen erwirtschaftet. Nun verrechnen sie die laufenden Betriebskosten mit dem erzeugten Strom und fertig ist die Mär vom billigen Atomstrom.
Das Forum für Ökologisch-Soziale (FÖS) Marktwirtschaft hat im Auftrag von Greenpeace errechnet, was Atomkraft in Deutschland wirklich kostet: Von 1950 bis 2008 gab es, mit Preisstand von 2008, allein 61 Milliarden Euro direkte Hilfen vom Staat, unter anderem für die Forschung, die Suche nach einem Endlager, Castor-Transporte oder auch die Folgekosten von Tschernobyl. Durch Steuervergünstigungen kommen weitere 64,8 Milliarden Euro hinzu. Weil man Deutschland unter den vier großen Stromkonzernen aufteilte, kamen durch fehlenden Wettbewerb weitere 33 Milliarden dazu, errechnete das Institut.
Mit weiteren Faktoren macht das 164,7 Milliarden Euro. In ähnlichen Berechnungen ermittelte das FÖS, dass Steinkohle im selben Zeitraum mit 295,2 Milliarden Euro und Braunkohle mit 56,9 Milliarden Euro gefördert wurde - die ehemalige DDR nicht mitgerechnet.
Wie viele Arbeitsplätze entstehen denn? Wie sehr verringert sich der Import von Kohle, Öl, Gas oder Uran? Und wie sehr der Export von Kraftwerkstechniken? Rechnet man diese Faktoren ein, stehen die regenerativen Energien deutlich besser da als mit dem Blick auf die reinen Kosten der Stromerzeugung.
Falls die Kalkulation nicht vom RWI kommt: Als das Institut die deutsche Förderpolitik für regenerative Energien im vergangenen Jahr als rundum ineffektiv und ohne nennenswerte Effekte auf den Arbeitsmarkt beschrieb, konterte das Bundesumweltministerium mit der Bemerkung, man wärme nur längst widerlegte Argumente auf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut