■ Endlich: Gute Taten lohnen sich wieder: Der Aufspürer des Jahres
Die Technischen Werke Stuttgart (TWS) sind für die Straßenbeleuchtung der Stadt zuständig. Aufgrund der derzeitigen ökonomischen und personellen Voraussetzungen liegt es auf der Hand, daß keine Seele weiß, wo gerade mal wieder eine dieser vielen städtischen Straßenlaternen einem Defekt erlegen ist und kein Lichtstrahl die finsteren Straßenschluchten erhellt. Da knapp ein Zehntel der 100.000 Stuttgarter Lampen innerhalb eines Jahres den öffentlichen Dienst verweigert, kann sich deshalb jeder Mensch leicht ausrechnen, innerhalb welchen Zeitraums die baden-württembergische Hauptstadt in nahezu vollendeter Finsternis erstarren wird.
Daß es soweit erst gar nicht kommen kann, dafür sorgen die sogenannten Aufspürer der Stadt. Abend für Abend ziehen Freiwillige durch die Straßen, notieren sich den Standort der erblindeten Laternen und schicken eine entsprechende Meldekarte an die TWS. Dieses Jahr sind rund 7.000 dieser Karten angekommen – allein 2.000 hiervon haben die Herren Ulrich Landmann und Dieter Baur eingesandt. Dabei sticht vor allem der Eifer des Lampen-Aufspürers Landmann ins Auge. An vielen Abenden des Jahres setzt er sich in sein Auto und fahndet nach kaputten Laternen. Inzwischen schafft er schon bis zu 60 Meldekarten pro Tour. Eine zugegebenermaßen einzigartige Leistung: zielstrebig, selbstlos und effektiv. Und vor allem nachahmenswert.
Bei dem von Landmann garantierten Licht betrachtet, läßt sich hieraus nämlich eine Vision für das nächste Jahrtausend entwickeln, die einerseits den Kommunen Freiraum für weitere Einsparungen und noch größere Megaprojekte gibt und andererseits den sozial Schwachen neue Chancen bietet. Man muß sie nur aufspüren.
So werden in naher Zukunft täglich Tausende von Erwerbslosen ausschwärmen, um die städtischen Mülltonnenn und Abfallkörbe zu überwachen. Entdeckt irgendeiner dieser Müll-Aufspürer eine bis an den Rand gefüllte Tonne, geht die vorgefertigte und ergänzte Postkarte ab an die städtische Müllabfuhr, die dann prompt für die notwendige Leerung sorgt. Schluß mit den unnützen Fahrten zu lediglich halb gefüllten Müllbehältern und auch Schluß mit dem sinnentleerten Konsumieren der fernsehtäglichen Game- oder Talkshows.
Andere wiederum werden als Unkraut-Aufspürer regelmäßig durch die öffentlichen Parks streifen, um die Höhe des Grases und die Dichte des Unkrauts zu messen. Ab einem noch festzulegenden Wert ist dann das zuständige Gartenbauamt zu informieren, welches anschließend für Ordnung sorgt. Damit hätte auch die Kohlsche Wortschöpfung vom „kollektiven Freizeitpark“ endlich zu ihrer wahren Bestimmung gefunden.
Die Teilnahme an diesen kommunalen Effizienz- und persönlichen Stabilisierungsmaßnahmen ist natürlich freiwillig. Als zusätzliche Belohnung nehmen alle Aufspürer-Einsendungen an der Verlosung von Einkaufsgutscheinen teil. Und hier zeigt sich dann die öffentliche Verwaltung von ihrer generösen Seite: Die gewonnenen Geschenkgutscheine werden nicht aufs Arbeitslosengeld oder auf die Sozialhilfe angerechnet. Als besondere Auszeichnung erhält derjenige, der die meisten Vorfälle aufgespürt hat, von Norbert Blüm die von der Deutschen Bank gesponserte und im Aussehen an eine Erdnuß erinnernde Ulrich- Landmann-Medaille mit der Prägung „Der Aufspürer des Jahres“. Die Preisübergabe findet live während der von Ulrich Wickert moderierten „Tagesthemen“ statt, und zum ersten Preisträger wird Ulrich Landmann himself ernannt. Michael Bolten
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