Elitenprojekt Europa gescheitert : KOMMENTAR VON MICHAEL BRAUN
Erst die Franzosen, dann die Niederländer: Europas Verfassung hat in den vergangenen Tagen gleich zweimal ziemlich deutlich eine Abfuhr erhalten. Was ist bloß mit den Bürgerinnen und Bürgern los? Da legt man ihnen ein Vertragswerk vor, das die Entscheidungsprozesse in Europa nicht bloß effizienter, sondern auch wenigstens ein bisschen demokratischer gestalten soll – und ganz demokratisch sagen die Wähler Nein zur Reform.
Für diesen scheinbaren Widersinn kann man selbstverständlich die „dummen“ Wähler verantwortlich machen: Schon melden sich die Stimmen, die in Frankreich gern ein neues Referendum ansetzen möchten. Das wäre Demokratie vom Allerfeinsten: Wir rufen die Bürger so lange an die Urne, bis sie endlich das von oben gewünschte Votum abliefern.
Oder man kann gleich so tun, als sei da gar nichts gewesen: Zwei Gründungsstaaten der EWG sagen Nein – aber die anderen Länder könnten dennoch fröhlich weiter ratifizieren. Können sie? Es wäre die Absage an ein von unten legitimiertes Europa, das durch die neue Verfassung doch angeblich befördert werden soll. Die Frage ist nämlich nicht, ob das Nein aus Frankreich und Holland gefällt. Es ist auf dem Tisch und muss ernst genommen werden. Der europäische Verfassungsprozess mag ja auf mehr Demokratie gezielt haben – doch an einem Großteil der europäischen Bürger ist er komplett vorbeigelaufen. Von wegen Aufbruchserwartungen: Allzu viele knüpfen Niedergangsängste an die vertiefte und zugleich kräftig osterweiterte EU.
Es ist kein Zufall, dass die Eliten in beiden Ländern in ihrer übergroßen Mehrheit für die Verfassung geworben haben. Es ist auch kein Zufall, dass das längst in Europa angekommene, gut verdienende, gebildete und polyglotte Bürgertum mit Ja stimmte – und dass die anderen aber mehrheitlich Nein sagten. Ohne diese Mehrheit aber funktioniert Europa nicht, nicht jedenfalls als demokratisches Projekt. Jenseits von grenzenlosem Binnenmarkt, Entsendegesetzen und Dienstleistungsrichtlinien muss den Bürgern schon auch deutlich werden, dass sie von der EU Positives zu erwarten haben – und nicht bloß ein Europaparlament mit ein bisschen mehr Mitsprache.