Elena Wolf beobachtet den Kampf der Berliner MietrebellInnen: Wie Apfelmus im Tetrapak
Es gibt Dinge, die gehen aus Prinzip nicht. Apfelmus im Tetrapak zum Beispiel. „Das ist doch ekelhaft, finden Sie nicht?“, kommentiert ein älterer Herr mit Kugelbauch und verrauchter Stimme seinen Einkauf an der Kasse bei Lidl in der Rigaer Straße in Friedrichshain: zwei Gläser Apfelmus.
Mühsam klamüsert er den Centbetrag aus seiner Hosentasche, während weitere KundInnen ihr Abendessen aufs Fließband legen: Dosenravioli, Veggi-Frikadellen, Gemüse, Brötchen und Bier – viele, die hier leben, haben kein Geld für Bio-Chichi. Das könnte sich bald ändern. Gegenüber dem Discounter soll auf rund 5.200 Quadratmetern für 37 Millionen Euro das luxuriöse Carré Sama-Riga entstehen, „eine Mischung aus anspruchsvollem Wohnen und szenetypischer Kunst-, Kultur- und Arbeitswelt“, wie die CG-Baugruppe auf ihrer Webseite ankündigt.
Zu dieser „szenetypischen“ Welt gehören auch die etwa 200 Menschen, die am Donnerstagabend auf der Straße zusammen mit Regisseur Matthias Coers dessen Dokumentation „Mietrebellen“ angeschaut haben. Käme das Luxustrumm wirklich, würden sie verdrängt, die Mieten unbezahlbar. Im Rahmen der Filmkundgebung der Initiative „Keine Rendite mit der Miete/Friedrichshain“ haben AnwohnerInnen aus der Rigaer Straße und Umgebung klar gemacht, dass sie das Feld nicht widerstandslos räumen werden. Wie die MieterInnen im Film werden sie sich gemeinsam gegen den Ausverkauf der Stadt einsetzen. Ob Oma oder Autonomer aus der benachbarten Rigaer Straße 94: Die Parole „Wir gehen hier nicht weg!“ schweißt Generationen zusammen. So bietet die Kundgebung am Donnerstag ein ganz anderes Bild der Skandalstraße, als es in der Vergangenheit durch die Medien ging. Bis auf theatralische Showeinlagen einer unbeteiligten, greisen Schnapsdrossel machen die Friedrichshainer MietrebellInnen klar, dass es nicht immer nur um die große Revolution und die Stürmung der Winterpaläste dieser Welt geht.
Lachen über Kronleuchter
Als vor der Doku zwei Werbevideos der CG-Baugruppe auf das weiße Leintuch eines Lkws projiziert wird, lachen viele, als sie Kronleuchter, verglaste Balkone und spießige Wohnparkanlagen sehen. Luxuskarren will aber niemand an diesem Abend anzünden. Es geht nämlich auch anders. Mit Vernetzung zum Beispiel. „Wir wurden groß in einer Gesellschaft, in der jeder für sich kämpft und sich als Individuum begreift“, sagt Matthias Coers ins Mikrofon. Bei der Wohnungsfrage sei es aber wichtig, sich zusammenzuschließen und astronomische Mieten nicht als individuelles Problem zu sehen.
Unbezahlbarer Wohnraum und Gentrifizierung sind keine Probleme, die sich nur „Chaoten“ auf die Transpis schreiben. Sie betreffen die Mehrheit der in Berlin lebenden Menschen. Gegen den Ausverkauf der Stadt an Großinvestoren einzustehen, ist kein linker Freizeitspaß, sondern BürgerInnenpflicht. Entscheidungen nur Parlamenten und Verwaltungsapparaten zu überlassen, geht einfach nicht – wie Apfelmus im Tetrapak.
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