El Salvador feierte den offiziellen Beginn des Waffenstillstands: Der Tag des Friedens gehörte der FMLN
■ Der historische 1. Februar gehörte voll und ganz den Comandantes der Befreiungsfront Farabundo Marti: Zehntausende von Menschen...
Der Tag des Friedens gehörte der FMLN Der historische 1. Februar gehörte voll und ganz den Comandantes der Befreiungsfront Farabundo Marti: Zehntausende von Menschen jubelten am Samstag in San Salvador den Oberkommandierenden der FMLN zu, als sie sich zum ersten Mal gemeinsam der Öffentlichkeit zeigen konnten.
AUS SAN SALVADOR RALF LEONHARD
Die meisten Guerilleros mögen davon geträumt haben, einst im Triumph in San Salvador einzuziehen und die Macht im Namen des Volkes zu übernehmen. Doch an diesem historischen 1. Februar nahm die Befreiungsfront Farabundo Marti (FMLN) das Stadtzentrum ein, ohne vorher die Regierung beseitigt zu haben. Der Waffenstillstand, der an diesem Tag in Kraft trat, und die Legalisierung der FMLN machten es möglich, daß sich die fünf Mitglieder des FMLN- Oberkommandos zum ersten Mal gemeinsam in El Salvador der Öffentlichkeit zeigen konnten. Zehntausende Menschen, von denen viele sich die roten Halstücher der FMLN umgebunden hatten, füllten die Plaza Civica, den geräumigen Platz vor der Kathedrale. Einige hatten sich vor dem Unabhängigkeitshelden General Barrios auf dessen bronzenem Streitroß Platz verschafft, andere hatten die klotzige Betonkathedrale erklommen und ein riesiges Portrait des 1980 ermordeten Erzbischofs Oscar Arnulfo Romero vor die Fassade gehängt.
Unter tosendem Beifall betraten die Comandantes Shafik Jorge Handal, Salvador Sanchez Ceren alias Leonel Gonzalez, Joaquin Villalobos, Eduardo Sancho alias Ferman Cienfuegos und Francisco Jovel alias Roberto Roca die Tribüne vor dem Nationalpalast. Auch die nachgeschalteten politischen und militärischen Führer wurden stürmisch gefeiert, allen voran Nidia Diaz, die besondere Popularität genießt, seit sie 1985 ein halbes Jahr in Gefangenschaft war und über ihre Erfahrungen ein Buch veröffentlicht hat. Zum ersten Mal bekamen viele Mitglieder und Anhänger der Befreiungsfront die Comandantes, deren Namen sie nur aus der Presse oder aus Erzählungen kannten, live zu Gesicht. Von den Feldkommandanten waren viele in Uniform erschienen, als wären sie gerade erst von den Bergen heruntergestiegen.
„Ich fühle mich wie ein Fisch im Wasser“, sagte KP-Chef Shafik Handal auf die Frage, ob er um seine persönliche Sicherheit fürchte. Was aber noch wichtiger sei: „Kein Verbrechen kann diesen Prozeß mehr aufhalten.“ Die FMLN, so ließen die Comandantes verlauten, strebe nicht länger die Alleinherrschaft an. Es gehe darum, daß alle politischen und sozialen Kräfte, die hinter dem Friedensabkommen vom 16. Januar stehen, als Sieger aus den Wahlen von 1994 hervorgehen. Um dieses breite Bündnis, das während des Verhandlungsprozesses entstanden war, vorzustellen, traten nun die Anführer der politischen Parteien — mit Ausnahme der regierenden ARENA — auf die Bühne. Allerdings gelang es den Einpeitschern nicht, zu erklären, warum auch Parteien wie die korrupte MAC und die konservative PCN, die im Parlament mit ARENA paktieren, auf einmal im Namen der Versöhnung mit Beifall statt Buhrufen zu begrüßen seien.
Die neue Ära hatte formell am Samstag vormittag begonnen, als Präsident Cristiani die Mitglieder der COPAZ, der Kommission für die Konsolidierung des Friedens, vereidigte. Diesem Gremium, das die Bestimmungen des Friedensabkommens in die politische Praxis umsetzen soll, gehören je zwei Vertreter der Regierung und der FMLN sowie je ein Delegierter der sechs im Parlament vertretenen Parteien an. Ohne eine Miene zu verziehen, saßen während der gesamten Zeremonie Vizeverteidigungsminister General Zepeda und Innenminister Martinez Varela neben den Comandantes Roberto Roca und Joaquin Villalobos. Von den über tausend geladenen Gästen, die den größten Pavillon des Messegeländes füllten, sympathisierten die meisten ganz offenkundig mit der FMLN; Joaquin Villalobos, der einst als der radikalste unter den Kommandanten galt und sich seit einiger Zeit als Mann des Ausgleichs zu profilieren sucht, erntete für seine äußerst versöhnliche Ansprache sogar eine stehende Ovation. Es sei falsch, das Friedensabkommen und dessen Konsequenzen als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln zu betrachten, sagte Villalobos: „Wer nach elf Jahren Krieg, angesichts von 70.000 Toten, einer Million Vertriebenen und eines zutiefst gespaltenen Landes glaubt, er habe den Krieg nur aus Zeitmangel nicht gewonnen oder ihn fast gewonnen, der hat die Lektion nicht begriffen. Jetzt ist die Stunde des Friedens und der Versöhnung.“
Wie fragil der Friede vor allem an der politischen Basis noch ist, wurde deutlich, als ARENA-Parteichef Armando Calderon Sol den am Vorabend an Zungenkrebs verstorbenen Parteigründer Roberto d'Aubuisson als großen Demokraten und Kämpfer für den Frieden pries. Während die relativ kleine Schar der ARENA-Aktivisten den charismatischen Ehrenpräsidenten der Partei mit lautstarken Sprechchören feierte, tönten von hinten die Buhrufe. Der ehemalige Geheimdienstoffizier hatte zu Beginn des Konflikts die Armee auf alle Anführer der Linken gehetzt und soll auch für den Mord an Erzbischof Romero verantwortlich sein. Für den damaligen US-Botschafter Robert White war d'Aubuisson ein „systematischer Killer“.
Kaum war die Zeremonie vorbei, drängten sich Hunderte Ehrengäste um die Comandantes, die wie Filmstars Autogramme geben mußten. „Die Leute stehlen uns die Schau“, murrte ein Regierungsfunktionär, der den FMLN-Organisatoren vorwarf, den feierlichen Akt manipuliert zu haben. Diese Anschuldigung wiesen die Comandantes entschieden zurück: „Diejenigen, die immer davon sprachen, daß wir kleine Grüppchen ohne Rückhalt in der Bevölkerung sind, die wurden heute eines Besseren belehrt.“
In der Tat hat die FMLN bisher vom Friedensschluß am ehesten profitiert. Während für sie der Waffenstillstand die Möglichkeit zur offenen politischen Arbeit eröffnet, muß sich die Armee in die Kasernen zurückziehen und künftig aus der Politik heraushalten. Deswegen war es wohl für die angeschlagene Moral der Truppe wichtig, daß Verteidigungsminister Ponce am Freitag in seinem letzten Tagesbefehl vor dem offiziellen Kriegsende noch den Sieg für die Streitkräfte reklamierte: „Vaterland, voller stolz präsentieren wir dir unseren starken Arm, um dir Rechenschaft abzulegen, daß wir unsere Mission erfüllt haben, dich gegen die kommunistische Aggression zu verteidigen.“ Auch der stellvertretende Generalstabschef, General Mauricio Vargas, verkündete, die Armee schreite „erhobenen Hauptes“ in die neue Epoche. Den 6.800 Guerilleros, die elf Jahre lang eine zehnmal größere und von der potentesten Militärmacht der Welt ausgerüsteten Armee in Schach gehalten hatten, konzedierte er nicht einmal, daß sie gute Soldaten seien: „Das sind keine Soldaten, das sind irreguläre Kräfte.“
Die allseits beschworene Versöhnung steht auf einem eher wackligen Fundament, das wohl nur dann hält, wenn alle Beteiligten zu dem Abkommen stehen. Die erste Probe aufs Exempel steht schon in den nächsten Wochen bevor, wenn es darum geht, die Agrarreform durchzusetzen — und dabei vor allem die im Abkommen geforderte Enteignung von Ländereien über 245 Hektar. Schließlich waren es die ungleiche Landverteilung und das Feudalverhältnis zwischen Großgrundbesitzern und Landarbeitern im überbevölkerten Zwergstaat El Salvador, die vor 20 Jahren bei der Entstehung der Guerilla Pate standen.
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