■ Eiskunstlaufen: Sonnenkind und Löwenherz
Berlin (taz/dpa) – Wenn man sich auf eines verlassen kann im Eiskunstlaufen, dann darauf, daß Surya Bonaly Europameisterin wird. Vor 9.200 Zuschauern in der Dortmunder Westfalenhalle demonstrierte die 21jährige Französin, während die Konkurrenz munter durcheinanderpurzelte, eine beeindruckende Sicherheit bei den Sprüngen und holte sich zum fünften Mal in Folge den Titel. Das hatte nicht einmal Sjoukje Dijkstra, jener „holländische Eiskunstbomber“, der „wie ein glatter Flugsaurier in der Luft lag“ (Henscheid), geschafft, sondern nur die Norwegerin Sonja Henie in den dreißiger Jahren.
Und dabei war das „Kind der Sonne“, wie Bonalys jüngst erschienene Biographie heißt, mit einem gebrochenen Zeh an den Start gegangen. „Ich hatte starke Schmerzen. Noch einmal würde ich unter solchen Umständen nicht antreten“, erklärte sie nach dem Wettbewerb, kündigte aber dafür an, daß sie bei den Amateuren noch ganz oft antreten möchte. Bis 1998 nämlich, dann will sie im japanischen Nagano nach so vielen EM-Titeln endlich auch einmal Olympiasiegerin werden.
Das möchte Tanja Szewczenko ebenfalls, die in Dortmund tief enttäuscht und mit verbitterter Miene vom Eis schlich. Mit guten Medaillenchancen nach dem Kurzprogramm gestartet, stürzte sie beim dreifachen Flip sowie beim dreifachen Lutz, landete beim Salchow unsauber und kam nur auf den vierten Rang hinter Bonaly, der Russin Olga Markowa (Rußland) und Elena Liaschenko (Ukraine). „Ich bin die Sprünge angegangen wie immer und dann waren sie plötzlich weg“, grämte sich die 17jährige Düsseldorferin. „Diese verpaßte Chance wird mich mein ganzes Leben ärgern. Wer weiß, ob ich noch einmal im eigenen Land eine Medaille gewinnen kann.“
Wenig später hatte sie sich allerdings wieder gefangen, besann sich darauf, daß sie ja ihrem sorgsam aufgebauten Image als unbeschwerte Draufgängerin gerecht werden muß und blickte schon wieder forsch voraus: „Im März habe ich bei der Weltmeisterschaft in Birmingham eine neue Chance.“ Und weil sie gerade so schön bei der moralischen Eigentherapie war, fing sie sogar an, ein wenig am Lack der alten und neuen Europameisterin zu kratzen: „Sie hat auch ein bißchen Glück gehabt. Ich weiß nicht, ob der Unterschied zwischen uns so groß ist.“ In Dortmund war er gewaltig, doch ihre Choreographin Uschi Keszler ist überzeugt, daß Szewczenko nicht nur „das größte Talent, das es im Eiskunstlauf gibt“, ist, sondern auch psychisch äußerst stabil: „Tanja ist ein Stehaufmännchen.“
Ziemlich zufrieden war Marina Kielmann, die die drittbeste Kür lief und nach dem verpatzten Kurzprogramm von Platz 13 noch auf Rang 6 sprang. „Sie hat ein Löwenherz“, sagte Wolf-Dieter Montag, Präsident der Deutschen Eislauf-Union (DEU) über die 27jährige Westfälin, die in diesem Winter durch eine konzertierte Medienkampagne plötzlich von der Pechmarie des deutschen Eiskunstlaufens zum Publikumsliebling mutierte. „Ich spüre eine große innere Zufriedenheit“, resümierte sie ihren EM-Auftritt und ließ ahnen, daß ihr Rücktritt, den sie nach der umstrittenen Niederlage gegen Tanja Szewczenko bei den deutschen Meisterschaften angekündigt hatte, wohl noch auf sich warten läßt: „Eiskunstlauf ist mein Leben, ich glaube, mir würde etwas fehlen.“Matti
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen