: Eiscafé Venezia – zu den Fotografien
Warum eigentlich heißen alle Eiscafés Venezia? Das ist natürlich eine dumme Frage, denn sie heißen ja auch gerne Capri, Rialto, Adria und, hm, tja, da wird es schon schwierig. Dann heißen sie doch wieder Venezia. Warum eigentlich, auch so eine dumme Frage, sind alle Leute derart begierig, kaum wärmt sie die erste Frühlingsonne, sich den Winter in Form leckerer, aber eiskalt gefrorener Milchcreme sofort wieder zu Gemüte zu führen? Da diese Frage nicht zu beantworten ist, sollte man sie vielleicht einfach als Tatsachenfeststellung behandeln. Sie erklärt wenigstens, warum es in jedem deutschen Kaff ein Eiscafé gibt, das Venezia heißt.
Die 1966 geborene Malerin und Fotografien Stefanie Bürkle kennt eine Menge deutscher Mittel- und Kleinstädte, taz-Leser erinnern sich vielleicht noch an die Serie „Standort Deutschland“ auf unseren Kulturseiten, die Resultat eines vom Land Nordrhein-Westfalen geförderten Forschungsprojekts zur Stadtentwicklung war. Vielleicht liegt es nahe, zur fotografischen Sammlerin aller Venezias zu werden, wenn man wie Stefanie Bürkle über mehrere Jahre die deutsche Provinz bereist. Doch bekanntlich ist das Naheliegende stets das, was übersehen wird. Und so sind die Venezias, die Stefanie Bürkle in Crailsheim, Krefeld, Oberhausen, Bocholt, Passau oder Halle fotografierte und mit denen wir unsere literataz bebildern, dann doch eine echte Entdeckung. Im Osten, in den die Venezias ja erst nach dem Mauerfall Einzug hielten, finden sie sich sehr oft in Einkaufspassagen und Shopping-Malls, was deutlich zeigt, dass die Innenstädte auf Flanieren, Einkaufen und Zwischendurch-ein-Eis-Essen nicht eingerichtet waren.
Eigentlich verbindet man mit einem Eiscafé ganz unbedingt die Möglichkeit, im Freien zu sitzen. Wo, bitte, kann man sonst seine tolle Sonnenbrille so sinnvoll ausstellen wie hier? Man braucht sie schließlich, um sich ganz ungeniert am Anblick des attraktiven Jungen zwei Tische weiter zu weiden. Nirgendwo, scheint es, lässt sich besser flirten als im Eiscafé, wo es völlig unverdächtig ist, regelmäßig aufzutauchen – und lange nicht so anstrengend und teuer wie in Bars und Clubs. Sind nicht unabgesprochene Verabredungen die prickelndsten, weil unverbindlichsten? Wo, wenn nicht im Eiscafé, hat schon immer „Sex and the City“ gespielt?
Das Venezia auf der Münchner Leopoldstraße war dafür das Paradebeispiel. Leider: war. Denn in diesem Frühjahr werden hier nach der Winterpause die Faschingskostüme nicht mehr raus- und die Tische und Stühle im Arne-Jacobsen-Stil wieder reingeräumt wie all die Jahre davor. Vom einem „Leinwandblick auf die Straße“ sprach Eckhart Schmidt, ehemals Filmkritiker der Süddeutschen Zeitung, in seinem Nachruf auf das Venezia in ebendieser Zeitung. „Das Leben aus der Espresso-Perspektive“, dem Stefanie Bürkle in ihrer Fotorecherche nachging, wird rechtzeitig zur Eissaison im Vice Versa Verlag Berlin erscheinen. Als Paperback, 64 Seiten stark mit 24 farbigen Abbildungen, für 14 Euro.
BRIGITTE WERNEBURG