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■ Eine Tagung zum Multikulturalismus in WashingtonZitierkartelle

Läßt sich ein Amerikaner von einem Deutschen etwas darüber erzählen, was sein Land ausmacht? Und was ist typisch für die Deutschen und ihr Selbstverständnis? Sind beides wirklich Referenzgesellschaften? Und wenn ja, reichen dann Etikettierungen wie „offene“ oder „geschlossene“ Gesellschaft, „Inklusion“ oder „Exklusion“ zur Charakterisierung noch aus? Oder sind dies nicht krude Vereinfachungen inmitten von Transformationsprozessen mit unbekanntem Ausgang? Selten habe er das Wort „Hybridität“ so oft gehört wie auf dieser Konferenz, meinte Dieter Dettke (Friedrich-Ebert-Stiftung) am Ende einer dreitägigen Konferenz über „Multiculturalism in Transit – A German-American Exchange“ vergangenen Monat in Washington: eine Gemeinschaftsproduktion von Humboldt-Universität Berlin und Georgetown University Washington. Dort trafen sich US-amerikanische feministische GermanistInnen, ostdeutsche AmerikanistInnen und Kultur- und PolitikwissenschaftlerInnen aus Nord- und Süd-, Ost- und Westdeutschland. Leider wurde schnell deutlich, wie weit die akademische Diskussion abgekoppelt ist von politischen und gesellschaftlichen Realitäten.

Während man in den cultural studies der USA lustvoll das dekonstruktivistische Hämmerchen über alles schwingt, zimmern die „dead white males“ im Kongreß gerade an einem „Vertrag mit Amerika“, der nicht gerade „e pluribus unum“ (aus der Vielfalt die Einheit) verspricht. War Vielfalt und Pluralität immer Teil des US-amerikanischen Selbstverständnisses, so gerät das Konzept einer multikulturellen Gesellschaft auch in den USA mehr und mehr unter Druck.

Und wo steht die Bundesrepublik? Da mag der Vertreter der deutschen Botschaft, Wilfried Krug, noch so sehr in seinem Verlautbarungsjargon von „Deutschland ist kein Einwanderungsland (Pause) ... jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinne“ sprechen. Dennoch findet dort die (zentripetale) Abstimmung mit den Füßen statt, vor der irgendwann auch das politische Zentrum nicht mehr die blauen Augen verschließen kann. Es gibt offenbar nicht mehr nur den amerikanischen Traum, es gibt auch schon lange den deutschen – schade, daß ihn nur die „Ausländer“ träumen. Deutscher ist man leider immer noch, während man Amerikaner werden kann.

Die Konferenzdebatten zwischen den Kultur- und den Politikwissenschaftlern zeigten deren – wie hieß es so nett: „Differenz im Denken über Differenz“. Dient aber nicht der Vergleich letztlich nur der eigenen Selbstvergewisserung? Ja, die US-amerikanischen AkademikerInnen waren sich ihrer selbst gewiß, und sie sind es geblieben. Für sie sind die Deutschen grauslig provinziell: Sie haben immer noch nicht die „Gender“-Kategorie begriffen, die deutsche Germanistik ist hoffnungslos antiquiert. In den USA hingegen tummelt sich die Crème de la crème der postcolonial studies.

Auch die feministischen Germanistinnen der USA klopfen sich auf die Schultern, sind sie doch maßgeblich an der Überwindung des alten, eurozentristischen Einheitsdiskurses beteiligt gewesen. In diesem Sinne wurde ihr Multikulturalismuskonzept mit Interesse besonders von den ostdeutschen Amerikanistinnen aufgenommen, die angesichts des „Dramas“ der akademischen Vereinigung (Catrin Gersdorf, Leipzig) nach Möglichkeiten heutiger Authentizität suchen. Gersdorfs Humboldt-Kollegin Friederike Hajek sprach im deutsch-deutschen Kontext von einer „Kultur des Ausschlusses“, die immer mit der „Ossi-Wessi-Sache“ ende. „Wir brauchen eine Kultur, die das Anderssein erträgt.“

Besonders nach den literaturwissenschaftlichen Vorträgen etwa Leslie Adelsons (Ohio) oder Azade Seyans (Bryn Mawr) über MigrantInnenliteratur als Grenzerfahrung und „dynamische Produktion instabiler kultureller Paradigmen“ (Adleson) wollte die Politikwissenschaft die Debatte wieder „down to earth“ bringen. Dem idealistischen Multikulturalismus der akademischen Sphäre müsse man den „brutalen der Straße“ vor die Nase setzen (Berndt Ostendorf, München). Für Ostendorf, der neben Hans-Jürgen Puhle (Frankfurt/Main) und Gregg O. Kvistad (Denver) zu den interessantesten Rednern gehörte, bedeutet die US-amerikanische Diskussion kaum mehr als eine Multilateralisierung des Problems des Rassismus. Gerade die Anwendung des universalistischen Individualrechts auf Gruppen drohe, rassistische oder ethnische Kategorien zu verfestigen. „Deine Kultur ist klasse, meine Kultur ist klasse, alle sind wonderful, das ist doch eine Lüge.“ Ostendorf war der einzige, der wissen wollte, warum die US-amerikanische Debatte der Differenz und „ethnischen Gemeinschaft“ eine „linke“ sei, die gleichen Topoi jedoch im deutschen Kontext von der Rechten besetzt würden. Auch die Anfordernisse einer postfordistischen Ökonomie müßten mehr berücksichtigt werden, denn dann verlöre die Debatte über Multikulturalismus ihre Unschuld und wäre mehr als nur eine Veranstaltung von „Zitierkartellen“.

Wie die akademische mit der politischen Welt zusammenzubringen sei, diese Frage, ja fast schon Bitte, wurde besonders von den Organisatoren dieser Konferenz, Jeffrey M. Peck (Georgetown) und Klaus J. Milich (Humboldt) immer wieder in die Runde geworfen. Doch es funkte nicht. Die von beiden Veranstaltern behauptete „Schlüsselrolle“ der cultural studies bleibt Wunschdenken. Eingeladene Pressevertreter wie Kurt Kister (Süddeutsche Zeitung) und auch Marc Fisher (Washington Post) machten sich denn auch zu Recht über die unerträgliche Abgehobenheit und den hochnäsigen Separatismus des poststrukturalistischen Diskurses an US-amerikanischen Universitäten lustig. Verkehrte Welt: Im Land des Pragmatismus und des consensus herrscht ein erinnerungstauber und verzerrter Idealismus. Und in der Bundesrepublik scheinen ausgerechnet pragmatische Fragen die akademische Welt zu fesseln. Andrea Seibel

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