Eine Straße für den „Helden von Narvik“

■ Protest gegen Straßenbenennung nach einem Nazigeneral und Exponent des Dritten Reiches / Grüne und VVN fordern Umbenennung von „General Dietl Straße“ in Kempten und Bad Aibling / Kommunen wehren sich gegen Vergangenheitsbewältigung

Von Luitgard Koch

„Alles das verdanke ich ihnen ...; eigentlich sind sie der Geburtshelfer des Dritten Reiches“, würdigt Hitler im November 1941 die Verdienste des oberbayerischen Wehrmachtsgeneral Eduard Dietl. Bereits 1920 wird Dietl, 1890 im oberbayerischen Bad Aibling geboren, Mitglied der NSDAP. Der 30jährige erhält die Mitgliedsnummer 524; Hitler selbst hatte die Nummer 555. Als der „Führer 1923 den historischen Marsch auf die Feldherrnhalle antritt, steht zu seiner Verfügung auch „die Kompanie Dietl marschbereit“, meldet die Nazipresse. 1938 zieht Dietl an der Spitze seines Regiments in Österreich ein. Er ist beim deutschen Überfall auf Polen dabei und seit den Kämpfen um Narvik im Norden Norwegens von April bis Juni 1940 gehört Dietl zu den bekanntesten deutschen Truppenführern. „Deutsche Gebirgstruppen besetzen Narvik“ heißt es in den Extrablättern am 11. April. Dafür wird Dietl auf einer eigens einberufenen Reichstagssitzung als erster deutscher Soldat mit dem Eichenlaub zum Ritterkreuz ausgezeichnet. „Ich glaube an den Führer“ Im Juni 1944, zwei Tage nach einer Audienz beim Führer auf dem Berchtesgadener Obersalzberg zusammen mit General Jodl, stirbt Dietl bei einem Flugzeugabsturz im österreichischen Murtal. Da der Unfall aus kriegspolitischen Gründen zunächst geheimgehalten wird, entsteht die Le gende, Dietl habe sich Befehlen Hitlers widersetzt und sei ermordet worden. Daß Dietl von Anfang an dabei war und bis zuletzt zu Führer, Volk und Vaterland stand, beweist jedoch die Rede Hitlers an seinem Sarg. „Gerade in den Jahren von 1933 bis 1936 als ich mit Blick auf die deutsche Zukunft unendliche Wagnisse eingehen mußte, stand dieser Mann unerschütterlich und selbstverständ lich hinter mir“, so Hitler an Dietls Grab, seiner letzten Rede in der Öffentlichkeit. Und auch Dietl selbst hielt 1943 noch Reden, die ihn als markigen Nazi zeigen, der an den Endsieg glaubt. „Ich erkläre feierlich, ich glaube an den Führer“, verkündet der Oberst damals im oberbayerischen Rosenheim. In Kempten wird 1973 eine Straße nach dem Nazi–General benannt. Er war dort ab 1931 Kom mandant des 99. Gebirgsjägerregiments. 1982 erinnert sich auch der Bad Aiblinger Veteranenverein an den „Held von Narvik“. Mit nur einer Stimme Mehrheit wird in der Ratssitzung die „General Dietl Straße“ im Neubaugebiet am Ortsrand durchgesetzt. „Wer gibt ihnen die Selbstgerechtigkeit, diesen Mann aus dem Gedächtnis tilgen zu wollen? Man könnte Angst bekommen, wenn Leute ihrer Gesinnung etwas Entscheidendes zu sagen hätten“, kanzelt der Kemptener Bürgermeister Josef Höß (CSU) den Stadtrat Klaus Spiekermann (die Grünen) in einer Sitzung des Bauausschusses ab. Grund für den Streit: Klaus Spiekermann beantragt eine Straßenumbenennung. „Nach einem Mann, der bedingungslos das Hitlerregime und seine verbrecherischen Kriegsziele mittrug, darf in einem Land, das sich demokratisch nennt, keine Straße benannt sein“, fordert der 44jährige Psychologe das Verschwinden der „General Dietl Straße“. Mit den Stimmen der SPD wird der Antrag abgelehnt. Mit ihrem Antrag hatten die Grünen in ein Wespennest gestochen. Nicht nur der Bürgermeister wehrt sich. Von einem „barocken Altbayer“ und „charismatischen Truppenführer“ schwärmt der stellvertretende Kommandeur der 1. Gebirgsdivision General Coqui in einem Brief an den Bürgermeister und betont: „Generaloberst Dietl gehört wie Generalfeldmarschall Rommel in die Tradition der Bundeswehr“. Nicht umsonst ist in Füssen eine Bundeswehrkaserne nach ihm benannt. VVN: „Ein politischer Skandal“ In der Allgäuer Zeitung tobt derweil der Leserbriefkrieg. „Zweifel am Demokratieverständnis der Grünen“ meldet der Kemptener Ludwig Keller an und empfiehlt eine Reise in andere Länder, um festzustellen, wieviele Straßen dort nach verdienten Generälen benannt seien. „General Dietl war kein Nazi“, heißt es immer wieder, und auch der Vorsitzende des Kameradenkreises der Gebirgstruppe Kempten, Johann–Georg Böck, meldet sich zu Wort, um zu betonen, daß „dem Menschen Dietl viele in Dankbarkeit verbunden“ sind. Besonders „scharf geschossen“ wird gegen den Kemptener DGB–Sekretär und VVN–Mitglied (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) Rolf Bicklhaupt, der sich in die Diskussion eingeschaltet hat und von einem „politischen Skandal“ spricht. Dieses Statement bringt Bicklhaupt nicht zum erstenmal Ärger. Angefeindet selbst innerhalb des DGB wurde der 33jährige bereits, als er sich 1985 gegen das Kameradschaftstreffen der ehemaligen Waffen–SS in Nesselwang engagierte. „Skrupellose Diffamierung unseres Rechtsstaats“, wettert Böck. Und der Vorsitzende des Wehrpolitischen Arbeitskreises der CSU in Kempten, Horst Wagner, weist auf den „kommunistischen Einfluß“ im VVN hin. Ähnliche Erfahrungen wie ihre Allgäuer Parteifreunde machen die Grünen im oberbayerischen Kurort Bad Aibling. Bereits 1982 wird das Landratsamt Rosenheim, als Rechtsaufsichtsbehörde der Stadt Bad Aibling, aufgefordert die Straßenumbenennung rückgängig zu machen. Doch Landrat Neiderhell sieht in Dietl nicht den „typischen Repräsentanten des Nationalsozialismus“, sondern macht ihn zum Widerstandskämpfer. „Dietl wurde ja in der letzten Kriegsphase, als Kritiker des Systems, in der damals üblichen Weise beseitigt“, antwortet er. Der erste Antrag auf Umbenennung, den der grüne Stadtrat Reinhard Fricke (34) im Sommer 86 stellt, wurde nie behandelt. Beim zweiten Anlauf vor wenigen Wochen kann sich der Rat der Stadt zu keinem abschließenden Urteil durchringen. Bürgermeister Werner Keitz will in seiner Eigenschaft als erster Vorsitzender des Krieger– und Veteranenvereins erst eine Stellungnahme des Vereins einholen. „Am Rande“ habe sich die Vorstandschaft jedoch bereits mit dem Thema befasst. Die einhellige Meinung: Der gebürtige Aiblinger Eduard Dietl soll als Soldat geehrt werden, was jedoch nicht eine Verherrlichung von Gewalt oder gar des Nationalsozialismus bedeute.