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Politik„Eine Katastrophe für Hechingen“

Für „Grünwähler“ endet die Traum-­reise an der Türschwelle: In Hechingen präsentiert ein AfD-Stadtrat diffamierende Schaufensterplakate in seinem Reisebüro. Partner TUI ist darüber gar nicht glücklich.

Johannes Simon zwischen seinem Reisebüro und der Baustelle auf dem Hechinger Marktplatz. Dort, wo kürzlich noch ein AfD-Infostand war. Fotos: Jens Volle

Von Franziska MayrSehr deutsch, mit weißen Socken in braunenSandalen, steht Johannes Simon vor seinem Reisebüro auf dem Hechinger Marktplatz undgrinst in die Kamera. Für Pressefotos steht der72-Jährige gerne bereit. Im Inneren seinesLadenssorgen hellblaue Holzbalken, ein überdimensionales Pyramiden-Poster und eine Mykonos-Windmühle, gemalt vor dem tief­blauen Ägäischen Meer, für Lust auf ferne Länder. Mittendrin ist Simons Schreibtisch, an demer für gewöhnlich Kund:innen Reiseangebote unterbreitet. Vergangene Woche war es jedoch vermehrt die Presse, die ihm gegenübersaß.

Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Flyern

Für überregionale Schlagzeilen sorgte die Dekoration, die AfD-Stadtrat Simon unübersehbar im Schaufenster seines Reisebüros präsentierte: „Grünwähler haben hier Haus-Verbot“. Zudem waren dort Flyer mit potenziell strafbaren Inhalten zu sehen, die sogar die Polizei auf den Plangerufen haben. Und auch ein AfD-Infostanddirekt vor dem Büro sorgte jüngst für Diskus­sionen, auch wenn er dort schon seit über einemJahr stand. Seit einigen Tagen ist von all dem nichts mehr zu sehen, solange man sich vomHinterzimmer des Büros fernhält. Grund dafür ist eine Abmahnung des Touristikkonzerns TUI,dessen babyblaues Logo die Außenfassade desReisebüros schmückt und den kürzlich entfernten blauen AfD-Logos irritierend ähnlich sieht.

Diffamierende Schaufensterplakate, davor derInfostand mit einem blauen AfD-Sonnenschirm: Rechtens? Ja, meint die Stadt auf Anfrage derHechinger Bunten Liste bei der Gemeinderatssitzung am 20. Juli. Simon bezahlte monatlich20 Euro und erhielt eine Sondernutzungserlaubnis. Dass es sich bei der Sondernutzung um Partei­werbung für die AfD handelte, sei zulässig, solan­ge die Partei vom Verfassungsschutz nicht als „erwiesen rechtsextrem“ eingestuft ist. Das heißtim Wesentlichen: Simon bezahlt, also darfSimon Werbung für die AfD machen.

„Das ist eine Katastrophe für Hechingen“, sagtBeate Dillmann, Inhaberin von Optik Bidlingmaier auf dem Hechinger Marktplatz. Das Zentrum der 20.000-Einwohner-Stadt sei ohnehin fast ausgestorben, da brauche es keinen weiterenPublikumsschreck. Auch für Silvia Bakos käme es überhaupt nicht infrage, bei Simon eine Reisezu buchen. Sie betreibt das FrauenfitnessstudioMrs. Sporty, drei Gehminuten vom Reisebüroentfernt und direkt an der üblichen Spaziergangsroute der wöchentlichen Montagsdemonstrationen gelegen. Diese sind aus den Corona-Demonstrationen hervorgegangen und werdenjede Woche von der AfD, oft von Simon selbst, bei der Stadt angemeldet.

Simon ist immer mit dabei, genauso wie derzweite AfD-Stadtrat Kai Rosenstock. Jüngst hätten die montäglichen „Spaziergänge“, wiedie AfD sie nennt, an Zuwachs gewonnen. Mehr als50 Menschen sollen am vorvergangenenMontag mitgelaufen sein. Bakos beschreibt die Demos als laut, oft diskriminierend. „Was macht denn ihr da oben?“, würden Teilnehmende immerwieder hämisch zu den trainierenden Frauen in ihr Fitnessstudio hoch rufen. Sie selbst ignoriereSimon – so gut das eben geht. Schwierig sei das,wenn sie mit ihren Kundinnen im Freien trai­niert und am Reisebüro vorbeikommt. Dann rufeihnen der Stadtrat nach: „So, habt ihr geschwitzt?“oder „So, waren wir wieder im Fürstengarten?“ Ob sie die Art und Weise, wie gegen Simon vorgegangen wurde, richtig findet, weiß sie nicht sorecht – dass gleich die Polizei aufkreuzt, findet sie „ein bisschen krass“.

In ihrer Anfrage im Gemeinderat verwies dieBunte Liste nicht nur auf besagten Infostand,sondern auch auf Flyer im Reisebüroschaufenster,die sich insbesondere gegen Grüne Politiker:innen richteten. „Welche rechtliche Handhabe hatdie Stadt, öffentliche Diffamierung und Diskri­mi­nierung wie die genannten Schaufensterplakatezu unterbinden?“, wollte Stadträtin Almut Petersen wissen. Gar keine, antwortete die Stadt mitVerweis auf das Hausrecht und die Meinungsfreiheit. Sollte es sich allerdings „tatsächlichum persönliche Beleidigungen oder Diffamierung konkreter Personen(gruppen), Parteien oder sonstigen juristischen Personen handeln,befinden wir uns ggfs. im Bereich von Straftatbeständen, für die eine Strafanzeige von denbetroffenen Personen oder Gruppierungen überdie Polizei gestellt werden müsste“.

Die Plakate sind weg, dieMenschenfeindlichkeit bleibt

Und siehe da: Eine Woche später kam es zurbesagten Anzeige und zu einer polizeilichenDurchsuchung in Simons Büro. Nun wird geprüft, ob eines der ausgestellten Flugblätter gegen Paragraf 188 verstößt: Beleidigung gegenPersonen des politischen Lebens. Was genau darauf zu sehen ist, dürfe er nicht sagen, erklärtSimon. Nur so viel: Auf der Rückseite stand: „Lüge nicht, betrüge nicht, der Staat duldet keineKonkurrenz.“ Vorne waren laut Staatsanwaltschaft Hechingen mehrere Politiker:innen derBundesregierung scheinbar unter psychischen Krankheiten leidend abgebildet. Ein Stapel ausetwa 50 solchen Flyen wurde beschlagnahmt.

Freitagmittag im August. Die Sonne brennterbarmungslos auf den Hechinger Markplatz, dermit all seinen leerstehenden Läden und keiner Menschenseele auf der Straße fast gespenstischwirkt. Genauso leise wie die Hechinger Innenstadt zur Mittagszeit fielen die Reaktionen aufSimons Aktionen aus. Das Plakat mit dem Haus­verbot für Grünenwähler habe er „selbst gebas­telt“, erzählt der Rentner mit kindlichem Stolz,während er im Chaos seines Hinterzimmersnach dem Kunstwerk wühlt. Da fällt ihm plötzlichein: „Ach, das hab ich ja der ‚Spiegel‘-Reporterin mitgegeben.“ Das Nachrichtenmagazin hatte am 10. August über den Aufstieg der AfD in Ländern und Kommunen berichtet und dabei Hechingen einen Besuch abgestattet. Auf Simons Tisch liegt eine Ausgabe des rechtsextremen „Compact“-Magazins, darauf zu sehenist Wirtschaftsminister Robert Habeck hinter Gittern. Bis vor Kurzem war das Heft noch imSchaufenster ausgestellt. Flyer gegen „Gender& Co.“ oder Habecks Einwanderungspolitik,Infobroschüren zur „grünen Gefahr“ oder Impfschäden bei Kindern hat Simon zur Genüge und teilt sie bereitwillig aus. Die Menschen inHechingen, die sich trauten, etwas dagegenzusagen, richteten sich schriftlich an die TUI. Und das waren anscheinend nicht ganz wenige,schließlich schrieb der Touristikkonzern eine Abmahnung. Weitere rechtliche und vertragliche Schritte seien bereits eingeleitet und die TUI wolle die Geschäftsbeziehung beenden, heißtes auf Anfrage von Kontext. Vermutlich werdendie TUI-Logos beim Reisebüro Simon bald verschwinden.

Die meisten juckt‘s einfach nicht

Doch der Betreiber ist sehr daran interessiert,die Zusammenarbeit fortzusetzen: Simon hatden Infostand mitsamt den fragwürdigen Broschüren und Flyern entfernt. Auch den Plan, das Wahlkreisbüro für den AfD-Landtagsabgeordneten Joachim Steyer im Reisebüro einzurichten, habe er verworfen. Die Zusammenarbeitmit TUI sei dem Rentner und dreifachen Vaterzu wichtig, zwei, drei Jahre würde er das Bürogerne noch weiterbetreiben. Und mit der TUI mache er nun mal die meisten Umsätze. Ganzbegeistert von deren Buchungssystem präsentierter exemplarisch einen Buchungsvorgang. Eine Woche für zwei Personen, all-inclusive natürlich.Wie wär‘s mit Zypern? Davon würde er stark abraten. „So viele Schwarzafrikaner wie dorthaben Sie noch nie gesehen.“ Natürlich leide die Sicherheit darunter, die hätten ja eine ganz andere Kultur. „In Afghanistan etwa, dort hatman Sex mit Tieren.“ Ganz zu schweigen vonden vielen Pädophilen, warnt er. Und fast im selben Atemzug erzählt Simon, erst am vorigenAbend habe er die Buchung einer jungen Türkinabgeschlossen: Hochzeitsreise für 18.000 Euro,zuerst Dubai, dann eine Overwater-Villa auf denMalediven. „Wir begrüßen sehr gerne unsere türkischen Freunde.“

Vor Simons Laden befindet sich – wie an sovielen Stellen in der Stadt – eine Baustelle. Alsder Infostand noch stand, musste der Platz zwischen Stand und Baustelle für Rollstühle undKinderwagen reichen. Eng war es, doch aufgefallen ist der Tisch mit dem leuchtend blauenAfD-Sonnenschirm scheinbar nur wenigen. Fragt man die Menschen in Hechingen nachden montäglichen AfD-Demos, reagieren diemeisten mit Gleichgültigkeit: „Sollen sie haltmachen“, meint eine Frau, Anfang 20, die geradeihren Pudel Gassi führt. Auch kein Problem ander ganzen Sache sieht Semsettin Örek, 25, türkischer Kurde, seit sechs Jahren in Hechingen und seit zwei Monaten Inhaber des Barbershops am Marktplatz gegenüber dem Reisebüro. Der Grieche Vassilios Sotiroudis ist gerade auf demHeimweg und regt sich lieber über die vielen Bau­stellen auf. Dass eine rassistische Partei öffentlich für sich wirbt, juckt ihn nicht.

Silvia Bakos in ihrem Frauenfitnessstudio. Sie ist strikt gegen Simons Aktionen.

Simon ist wenig verwundert über die fehlende öffentliche Reaktion. Die meisten hättendarüber gelacht. Was erwarte man sich auch in so einem „verschlafenen Kaff“? Bis auf ein paar Antifa-Sticker auf der Schaufensterscheibe seider große Widerstand ausgeblieben. Bei einereinzigen Montagsdemo im vergangenen Winterseien vermummte Antifa-Mitglieder aufgetauchtund hätten die Demonstrierenden bezichtigt,sie würden von der AfD bezahlt. Da muss Simon lachen: „Wie dumm kann man sein? Wir sinddie AfD!“ Und er ist sich sicher: „Die Leute sind überwiegend meiner Meinung, sie trauen sich nur nicht, die Gosch aufzumachen.“

Über die vom Marktplatz absteigendenTreppen kommen zwei junge Männer, 27 und 28Jahre alt, schwarz gekleidet. Sie sind Muslime, erzählen sie, und wohnen direkt neben besagtem Reisebüro. Simon hatte sie schon öfters zu den „Montagsspaziergängen“ eingeladen,bisher haben sie dankend abgelehnt. Doch dieVorstellung findet der 27-jährige Enes witzig:„Typisch wär‘s ja nicht.“ Eigentlich ist ihnen dieSache egal. „Wir mögen die AfD halt nicht, doch solange die nicht ‚scheiß Ausländer‘ sagen odervor unserer Haustür stehen und gegen uns eineDemo machen, ist alles schön und gut.“ Na, dannist ja alles schön und gut.

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