: Eine Geschichte voller Traumata
■ Polens über tausendjährige wechselvolle Historie/ Nationalismus und Katholizismus als bestimmende Elemente
Aller dumpfdeutschen Überheblichkeit zum Trotz hat Polen eine fast tausend Jahre längere Tradition als Deutschland. Während die Geburtsstunde des Staates Polen auf das Jahr 966 datiert wird, mußten die Deutschen bis 1871 auf den starken Mann Bismarck warten, der ihnen einen Nationalstaat schuf. Einer der Gründe dafür, daß Nationalismus und Katholizismus so bestimmend für die polnische Identität sind, war die Gleichzeitigkeit von Staatsgründung und Christianisierung: 966 n. Chr. trat der Polanenhäuptling Mieszko zum Christentum über, das Herrschaftsgebiet von König Mieszko I. wurde Teil der christlich-abendländischen Kultur.
Es folgte eine lange wechselvolle Geschichte. Zu den größten Traumata der Polen gehören die drei Teilungen des Landes. Nach einem konfessionell begründeten Bürgerkrieg wurde der schwache Staat zwischen 1772 und 1795 als Beute zwischen Preußen, Österreich und Rußland aufgeteilt. Obwohl polnische Nationalisten im folgenden voller Hoffnung auf Napoleons Seite gegen die Preußen kämpften — die heutige Nationalhymne Noch ist Polen nicht verloren entstand in dieser Zeit —, erwies sich der französische Kaiser nach seinem Sieg über die Preußen als wenig großzügig: 1807 schuf er das »Großherzogtum Warschau« von seinen Gnaden. Auch als der imperiale Feldzug Napoleons in Europa in seiner Niederlage endete, stand auf dem Wiener Kongreß der Siegermächte im Jahre 1815 eine Wiederherstellung des ungeteilten Polens von 1772 nicht mehr zur Debatte. Statt dessen wurde aus dem größten Teil des ehemaligen Großherzogtums Warschau das »Kongreßpolen« geschaffen, Zar Alexander wurde gleichzeitig König von Polen. Posen blieb von Preußen besetzt und das Agrarland Galizien von Österreich. Erst im Zuge des Ersten Weltkriegs sollte Polen wieder neu entstehen. Der Begründer der Polnischen Sozialistischen Partei, Oberbefehlshaber der Armee und spätere Diktator Jozef Pilsudski konnte erreichen, daß Polen nach Kriegsende die ehemals preußische Provinz Posen, einen Teil Westpreußens mit Zugang zur Ostsee und den Ostteil Oberschlesiens zugesprochen bekam.
Das zweite blutige Trauma Polens heißt Nationalsozialismus. Kein anderes Land mußte ihm auf die Bevölkerungszahl umgerechnet mehr menschliche Opfer bringen: Von knapp 35 Millionen Polen kamen 6 Millionen im Zweiten Weltkrieg um — fast jeder fünfte. Auf besetztem polnischem Boden — in Auschwitz und anderswo — wurden Millionen Juden vergast. Dort gab es aber auch eine starke Widerstandsbewegung mit 200 Gruppen, von denen die meisten in der »Heimat-Armee« aufgingen, die sich der polnischen Exilregierung verpflichtet fühlte. Ernst Lubitschs Film Sein oder Nicht-Sein hat dem ein wunderbares Denkmal gesetzt. usche
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