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Archiv-Artikel

„Eine Frage der Zeit“

ALGERIEN Wie der Wandel hier zu schaffen wäre

Elias Filali, 46, Journalist und Unternehmer in Algier. Er ist Aktivist und Blogger Foto: privat

VON ELIAS FILALI

Die Revolutionen in Ägypten und Tunesien haben den Menschen in den arabischen Ländern die Hoffnung gegeben, dass sie die Dinge ändern können. Auch wir in Algerien wollen einen regime change. Vielleicht ist unser Präsident Abdelasis Bouteflika nicht so schlimm wie Mubarak oder Ben Ali. Aber er ist umgeben von korrupten Leuten. Das ganze System ist korrupt. Nicht einmal einen Arbeitsvertrag bekommt man, ohne jemanden zu bestechen. Hinzu kommt: Drei Viertel der Algerier sind unter 25 Jahren, die Regierung dagegen ist alt. Die meisten Mitglieder sind 65, 70 Jahre alt. Und sehr reich.

Ein weiterer Unterschied ist: Wir haben einen furchtbaren Bürgerkrieg mit 200.000 Toten hinter uns. Die Menschen haben Angst und sind die Gewalt leid. Die Menschen wollen zwar einen Wandel, aber wir haben keine Opposition, die das herbeiführen könnte. Es gab in den letzten Jahren zwar immer wieder Aufstände, aber das alles war und blieb immer unorganisiert. In Ägypten gab es zwar auch keine große Organisation, aber die Ägypter hatten das Internet. Sie sind diejenigen, die das Internet am meisten nutzen in der arabischen Welt.

Hier sind viele sehr religiös, was ein großes Problem ist. Die Menschen sind nicht vernetzt, viele können nicht lesen und schreiben. Vielleicht beschränkt sich die Unterdrückung der Medien in Algerien deshalb auf das Fernsehen, während die Presse freier ist, als sie es in Ägypten oder Tunesien war.

Algier war Wochen vor der Demonstration am Samstag von Polizisten abgeriegelt, hunderte Menschen wurden verhaftet. Wenn der Platz des 1. Mai frei zugänglich gewesen wäre, wären da Zehntausende gewesen, vielleicht Hunderttausende.

Aber ich habe keine Angst. Sie sind diejenigen, die Angst haben sollten. Sie sind die Korrupten, die, die unser Land zerstören. Wir haben unsere Rechte, wir liegen nicht falsch, sie liegen falsch. Wir Aktivisten haben unsere Angst verloren. Und die anderen verlieren sie langsam auch.

Das merkt auch die Regierung und versucht, die Lage zu beschwichtigen. Die Preise für Grundnahrungsmittel wurden gesenkt, und der Präsident hat versprochen, den Notstand aufzuheben. Aber sobald das passiert ist, werden sich mehr und mehr Gruppen formieren und demonstrieren. Die Zivilgesellschaft wird aktiv werden. Das ist nur eine Frage der Zeit. Wir brauchen nur eine gute Führung. Auch die islamischen Parteien müssen sich modernisieren und toleranter werden. Algerien hat keine guten politischen Anführer, das ist das größte Problem.

PROTOKOLL: DENIZ YÜCEL