: Eine Frage der Prioritätensetzung
betr.: „This Land Is Your Land“ (Patriotismus und andere Gemütszustände), tazzwei vom 2. 12. 03
Diese Argumente für den Patriotismus haben mich zutiefst überzeugt. Vor allem das Argument, dass bei Anderen Patriotismus selbstverständlich sei, ist natürlich eine unwiderlegbare Beweisführung. Vor allem, wenn es auch noch um Fußball geht!
Auch wir Hessen müssen uns endlich freimachen von Gemütszuständen wie Kritische Theorie. Wir müssen patriotismusfähig werden. Wir brauchen einen Freistaat Hessen, der sich von den Fesseln Deutschlands und Europas freimacht. Patriotismus muss Schulfach werden. Auf jeder Schuluniform muss der hessische Löwe prangen. Wir brauchen eine Hymne, die jeder Schulpflichtige lernen muss. Daher auch die Forderung nach der Ganztagsschule. Wir können stolz sein auf unseren Ebbelwei, denn er ist saurer als Cider und Cidre. Unser Handkäs stinkt besser als Harzer Käse. Wir lieben das Kaff, aus dem wir nie herauskommen, wie eine Kuh ihren Stall liebt. Unsere Fußballer sind die besten und an Ausländer vermieten wir nicht. Selbst noch unsere Dumpfbacken sind die besseren. Und darauf dürfen wir auch noch stolz sein.
Über Politik und Geschichte nachzudenken, das schlägt uns aufs Gemüt. Statt Diskurse oder Adorno haben wir’s lieber gemütlich. Wir sind nicht borniert, wir sind nur sture Hessen. Und das gibt’s woanders auch. Es lebe der Patridiotismus! ALBERT KNAPP, Frankfurt
So, und jetzt nochmal ganz langsam zum Mitdenken: FUSSBALL IST EIN SPIEL UND KEINE NATIONALE PRESTIGEANGELEGENHEIT, verdammt noch mal! Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern ganz allgemein! Wer nichts außer seiner Nation hat, um Emotionen draufzuprojizieren, ist ein armer Teufel!
Und selbst wenn das hier das „beste Deutschland aller Zeiten“ sein sollte, mit „unterdurchschnittlicher Rassismusquote“ (denn, wie einige Seiten vorher zu erfahren war, haben wir ja für den alltäglichen Rassismus mittlerweile unsere arabische Minderheit verantwortlich zu machen), kann niemand von mir erwarten, eine Mannschaft anzufeuern, in der Oliver Kahn im Tor steht und die darüber hinaus auch noch extrem unansehnlichen Fußball spielt. Auch das hat nichts mit Nationalitäten zu tun, sondern mit Qualität und Geschmack.
Und was den übrigen Patriotismus angeht: Ich habe einfach Wichtigeres zu tun, als mir permanent Gedanken um die geografische Einheit zu machen, mit deren Einwohnern ich außer Sprache und Personalausweis-Eintrag sehr wenig gemein habe. […] Und auch das ist kein „linker Selbsthass“, sondern eine Frage von Prioritätensetzung. Liebe sollte man sich für Individuen aufheben und nicht an so ein amorphes Gebilde wie Staat, Nation oder Volk verschwenden.
FRANK PÖRSCHKE, Hattingen