: Ein zu beseitigendes Dilemma
■ Betr:. „Streit um Streit auf Schöne berger Sozialamt“, taz vom 23. 6. 98
Ich bin von Ihnen zu den Äußerungen eines CDU-Mitgliedes in der Schöneberger Bezirksverordnetenversammlung befragt worden, der eine Forbildung von Mitarbeitern des Sozialamtes im Bereich interkultureller Kompetenz ablehnte, weil nach seiner Darstellung nicht die Mitarbeiter, sondern die nichtdeutschen Besucher Auslöser von Problemen seien.
In meiner Antwort habe ich versucht, die Sackgasse zu beschreiben, in der diese Diskussion momentan steckengeblieben ist, und für eine Verständigung der unterschiedlichen Seiten zu werben. Das ist mir offensichtlich schlecht gelungen. Da ich überdies zur Kronzeugin von Informationen gemacht werde, die von anderer Seite stammen, ist der Artikel auch verwaltungsintern mehr dazu geeignet, die Fronten zu verhärten als aufzulösen. Das bedaure ich sehr. Mein Ziel war immer, daß unsere Mitarbeiter nicht unter verbalen und psysischen Attacken zu leiden haben und daß unsere Besucher freundlich und korrekt beraten und versorgt werden.
So pauschal, wie beschrieben, sind weder die Arbeit und die Mitarbeiter noch die Besucher zu behandeln. Wir haben im Sozialamt eine geschulte Mitarbeiterschaft, die ein hohes Publikumsaufkommen mit oft existentiellen Nöten zu bewältigen hat. Der persönliche Kontakt wird einerseits als sehr befriedigend und positiver als reine Aktenbearbeitung bewertet – dies hat eine Umfrage bei den Beschäftigten erbracht –, bringt aber auch erhebliche Belastungen mit sich. Wo diese Belastungen zur Gefährdung werden, etwa wenn Wünsche von Antragstellern abgelehnt werden und diese daraufhin Mitarbeiter beschimpfen oder angreifen, sollte der Mitarbeiter vorbereitet sein, darauf zu reagieren. Andererseits gibt es Beschwerden von Besuchern, die sich ungrecht behandelt sehen, die sich über den Ton von Mitarbeitern beschweren oder sich als Ausländer diskriminierend behandelt fühlen.
Nun geht es nicht darum zu entscheiden, wer im Einzelfall recht hat oder wer sich „schlecht benimmt“. Das ist die Diskussion der Sackgasse. Es geht darum, im Sinne der Verwaltungsreform unsere Angebote, die Bearbeitung und Beratung immer wieder auf den Prüfstand zu stellen und dabei die berechtigten Anforderungen unserer „Kunden“ im Blick zu haben. Es geht darum, die Fähigkeiten der Beschäftigten zur Deeskalation von Konflikten, die ja von ihnen zu Recht beklagt werden, im eigenen Interesse auszubauen. Und es geht darum, Strategien zu entwickeln, um Streß und Konflikte schon in der Entstehung zu verhindern. Dazu sollten die angebotenen Seminare dienen.
Leider sind sie – als Beschluß der Bezirksverordnetenversammlung – als Bevormundung und Kritik verstanden worden. Die BVV hat sich der Sache allerdings erst zugewandt, als das verwaltungsinterne Seminarangebot nicht angenommen wurde. Hier besteht also offensichtlich ein zu beseitigendes Dilemma: Es gibt von den Mitarbeitern und Besuchern benannte Probleme, auf die von der jeweiligen Seite immer wieder hingewiesen wird, aber es gibt keine Strategie, sie langfristig zu bearbeiten und aufzulösen. Mein Plädoyer war und ist, nicht in Schuldzuweisungen steckenzubleiben, sondern eine solche Strategie im beiderseitigen Interesse zu entwickeln. Dr. Elisabeth Ziemer
Bezirksbürgermeisterin von Schöneberg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen