■ Ein rechtskonservativer Aufruf zum 8. Mai: Standortverschiebung
Ein Lob des Kanzlers aus Paris, im deutschen Kontext liest es sich wie eine Beschwörung. „Kohl steht für das am 8. Mai befreite Deutschland“, kommentierte gestern die renommierte Le Monde; am gleichen Tag veröffentlicht die Frankfurter Allgemeine Zeitung eine Anzeige – warum eigentlich eine Anzeige, mehr Bekennermut hätte sich das Blatt doch zumuten können – von 250 Publizisten, Politikern und sogenannten Persönlichkeiten des konservativen bis rechtsradikalen Spektrums, in der die Klassifizierung „Befreiung“ für den 8. Mai als „einseitig“ abgelehnt wird. Sogar die Unterschriften des ehemaligen Bundesministers, Hans Apel (SPD), und des gegenwärtigen Kabinettsmitglieds, Carl-Dieter Spranger (CSU), zieren die Liste. Eine Reihe von Unterzeichnern mag das erklärte Ansinnen getrieben haben, auch der deutschen Opfer der Vertreibung zu gedenken – ein Ansinnen, dessen Legitimität über Jahre von der Linken unter den Barrikaden eines verschwiemelten Antifaschismus begraben wurde. „Ewas Selbstverständliches“ nennt Thomas Schmid in der Wochenpost deshalb, was die Anzeige zum Ausdruck bringt. Doch selbstverständlich ist nicht das „Selbstverständnis einer selbstbewußten Nation“, dessen Grundlage sich die Unterzeichner mit der Anzeige zum Anliegen machen. Die Teilung Deutschlands und das damit verbundene Unrecht zu bedauern ist eine Sache, für die ein gesonderter Gedenktag existiert. Sie in den Kontext des 8. Mai zu stellen, dient der Diffundierung der Täterzuschreibung, relativiert, was Kohl hinreichend als „Ende der Nazi- Barbarei“ eingegrenzt hat.
Die Neue Rechte ist organisatorisch schwach, ihre Hegemoniebestrebungen sind weniger organisatorischer Art, sondern kaprizieren sich auf die Meinungsführerschaft. Die Besetzung von Themen und die Verschiebung der Konnotationen findet ihre Entsprechung in der intendierten Auflösung starrer Grenzziehungen innerhalb des konservativen und rechten Lagers – und darüber hinaus. Die Offenheit mit der sie in ihrem Aufruf diesen strategischen Bezug formulieren, ist zu begrüßen – so kann auch ein Hans Apel nicht sagen, er habe nicht gewußt, worum es eigentlich geht.
1985 gemahnte der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker anläßlich des 8. Mai an die Schuld der Deutschen. Der damalige Bundeskanzler Kohl zollte daraufhin auf dem Friedhof von Bitburg, wie Le Monde notierte, „der rückschrittlichsten Fraktion in der öffentlichen Meinung“ Tribut. Nun hat sich diese Fraktion wieder zu Wort gemeldet, doch die französische Zeitung ist sich sicher, daß sich der Kanzler „gegenüber einer revisionistischen Geschichtsschreibung zu behaupten“ wisse. Behielte sie Recht, hätte sich eine Konnotation tatsächlich verschoben – die des Kanzlers Kohl. Dieter Rulff
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