Ein grüner Polizist im Gespräch : „Im Notfall Türen eintreten“
Jan-Denis Wulff ist bei den Grünen und Polizist. Er erzählt, wie er zu seiner Berufung kam und warum wir eine progressivere Sicherheitspolitik jenseits von AfD und Union brauchen.

taz: Wie sind Sie eigentlich zur Polizei gekommen?
Jan-Denis Wulff: Ich habe eine Ausbildung zum Erzieher gemacht und mein Anerkennungsjahr in einer Jugendschutzstelle in Essen absolviert, in der Kinder landen, die aus ihren Familien geholt werden müssen. Da gab es Situationen, in denen wir häusliche Gewalt beobachteten. Wir standen vor geschlossenen Türen und mussten auf die Polizei warten. Ich war 22 und konnte nichts tun. Ich wollte mich nicht hilflos fühlen, sondern im Notfall Türen eintreten können, also bin ich selbst zur Polizei gegangen. Es war die beste Entscheidung meines Lebens.
Wie kam es zur Politik?
Aus demselben Grund. Ich habe gemerkt, ich kann nicht so wirken, wie ich mir das vorstelle.
Jan-Denis Wulff ist 32 Jahre alt, Grünen-Politiker und als Kriminalkommissar beim Bundeskriminalamt (BKA) tätig. Er wuchs als Arbeiterkind und Sohn eines türkischen Einwanderers auf und und hat vor der Polizei eine Ausbildung zum Erzieher abgeschlossen. Er spricht nicht für das Bundeskriminalamt sondern schildert seine eigenen politischen Ansichten und Erfahrungen.
Befinden Sie sich in einer Doppelrolle als Polizist und Politiker?
Jeden Tag, auch jetzt. Unser Gespräch könnte bei den Grünen gut ankommen, bei der Polizei aber nicht so. In anderen Medien ist es andersrum. Es ist eine Doppelrolle, weil ich nicht bei der CDU bin. Da wird immer eine polizeikonservative Richtung vertreten. Ich bin Polizist durch und durch, aber ich stehe für einen progressiven Ansatz, wie viele in der Polizei.
Welche Resonanz bekommen Sie aus Ihrem Arbeitsumfeld?
Natürlich gab es Kritik, als ich verkündet habe, dass ich für die Grünen kandidiere. Aber ich habe auch das Gegenteil erlebt. Ich bekomme viele positive Nachrichten von Polizist*innen aus ganz Deutschland.
Was halten Sie von den Vorwürfen, es gäbe strukturellen Rassismus bei der Polizei?
Wir haben eine sehr rechtschaffende Polizei. Das würde ich immer vertreten. Aber natürlich gibt es Probleme. Wir haben es lange nicht gewagt, die Polizeistrukturen zu kritisieren.
Was tun Sie als Politiker gegen die Misstände, die Ihnen selbst auffallen?
Darüber sprechen, informieren. Sich öffentlich z.B. gegen gewisse Gewerkschaftler stellen, die nur eine konservative politische Meinung vertreten und dabei so tun, als würden sie für uns alle sprechen. Es gibt eine andere Seite in der Polizei und dafür will ich stehen.
Existiert racial profiling?
Ja, weniger weil Polizist*innen Rassisten sind, sondern eher weil die Sicherheitsbehörden kaputtgespart wurden. Um Sicherheitsfehler vorzubeugen braucht es mehr Investitionen. Wenn ich auf einer Veranstaltung mit zu wenigen Kräften bin und unter Stress nur eine handvoll der Besucher kontrollieren kann, verfällt man leichter in rassistische Muster. Hier hat die Politik die Verantwortung, die Polizei mit dem auszustatten, was wir benötigen, statt uns alleine zu lassen.
Konkret heißt das?
Zum Beispiel haben wir keine Ausbildung darin, wie wir mit Menschen in psychischer Ausnahmesituation umgehen müssen. Allerdings ist in diesen Situationen der Schusswaffengebrauch am größten. In Aschaffenburg haben wir gesehen, wo wir Nachholbedarf in diesem Bereich haben. Ganz besonders in der Kommunikation zwischen den Behörden. Dafür kann man keine Flüchtlinge verantwortlich machen.
Was sind die nächsten Schritte für Sie?
Wir brauchen ein neues Sicherheitskonzept. Ich möchte der CDU und AfD die Deutungshoheit in der Debatte entreißen. Die Menschen haben Angst. Progressive Parteien müssen sich dem Thema Sicherheit mehr widmen. Prävention, Ausstattung der Sicherheitsbehörden, europäische Zusammenarbeit - aber vor allem brauchen wir einen breiteren Sicherheitsbegriff. Es sind soziale Probleme, die zu Kriminalität führen können. Und das hat die aktuelle Sicherheitspolitik nicht im Blick. Dort hinterlässt die Union eine Lücke. Und die wollen wir als Grüne füllen.
Wird es denn unter der neuen Regierung eine Veränderung in der Sicherheitspolitik geben?
Merz hat gezeigt, was seine Idee von Sicherheit ist: Alleingänge und Abkapselung von europäischen Partnern. Dafür kriegt er von rechts eine ausgestreckte Hand. Die Probleme werden nicht angegangen, sie verstecken sich hinter der Migrationsdebatte und nutzen Sündenböcke. Umso wichtiger ist es, in der Opposition dagegen zu halten.
Im neuen ZDF Magazin Royale wird ein Sicherheitsfehler bei der Einreise 16 afghanischer Frauen aufgedeckt, der angeblich bei der Polizei lag und wohl vermeidbar war. Nun stellt der Moderator Jan Böhmermann in den Raum, dass die Intention dahinterstecken könnte, das Aufnahmeprogramm afghanischer Migrant*innen zu sabotieren. Was steckt dahinter?
Natürlich passieren auch in der Bundespolizei Fehler - wie überall, wo Menschen arbeiten - aber ich bin überzeugt, dass der überwiegende Teil meiner Kolleginnen und Kollegen einen pflichtbewussten Job machen und dafür danke ich ihnen sehr. Anders muss man die Rolle von Manuel Ostermann bewerten. Er fällt zunehmend damit auf, seine Position als Gewerkschafter auszunutzen, um im Namen der ganzen Polizei die politischen Botschaften seiner Partei, der CDU, zu verbreiten. Die Gewerkschaften sollten um die Belange der Kolleg*innen kämpfen und sich nicht als politisches Sprachrohr einzelner Parteien verstehen.
Jan-Denis Wulff wird auf dem tazlab zu dem Thema "Polizei trifft Politik" zu hören sein. Tickets gibt es unter tazlab.de/tickets.