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Archiv-Artikel

Ein Rat ohne Rat Schon wieder ein Brief von Tony

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Das schrullige Ritual der Eurodiplomatie will es, dass der amtierende Ratspräsident vor jedem Gipfel seine Amtskollegen in einem locker plaudernd abgefassten Brief über die geplante Tagesordnung informiert. Diesmal war es umgekehrt: Einer der Gäste griff zuerst zur Feder und versuchte, die Regie zu übernehmen. „Lieber Costas“, schreibt Tony Blair an den griechischen Ministerpräsidenten Simitis, „ich hoffe, dass auch unsere zehn Beitrittspartner und die drei Kandidatenländer eingeladen werden.“

Als der griechische EU-Botschafter am Freitag in Brüssel gefragt wurde, ob es zutreffe, dass seine Regierung zunächst 28 Teilnehmer für den Irak-Sondergipfel eingeplant habe, dann aber die Kandidatenländer wieder ausgeladen wurden, geriet der routinierte Diplomat sichtlich in Verlegenheit.

Schriftliche Einladungen, so ist aus den EU-Botschaften der Kandidatenländer zu erfahren, seien dort nie eingegangen. Doch das Hin und Her im Vorfeld hat den Eindruck verstärkt, dass auf EU-Ebene in der Irakpolitik eine Hand nicht weiß, was die andere tut. In der Haut von „Costas“ jedenfalls möchte man derzeit nicht stecken. Zumal ihm heute Abend womöglich ein Überraschungsgast ins Haus steht. Der türkische Ministerpräsident Abdullah Gül hat über die Nachrichtenagentur Anadolu mitteilen lassen, er plane einen Blitzbesuch in Brüssel – beim Sondergipfel. Sollte er sich tatsächlich gegen 18 Uhr unter den Augen der Fernsehkameras in den Tross schwarzer Limousinen einreihen, die die Staatschefs und Kofi Annan vor dem Ratsgebäude abliefern, befände sich der griechische Gastgeber in einer echten Zwickmühle. Undenkbar, dass er Gül die Tür verwehrt. Undenkbar aber auch, dass er ihn an Beratungen teilhaben lässt, zu denen nicht einmal die neuen EU-Mitglieder zugelassen sind.

Tony Blairs Brief rät ihm dazu nichts. Kein Wort zur geopolitischen Lage der Türkei und zu dem Vorgang, dass im Nato-Rat drei EU-Länder die Rüstungshilfe für die Türkei blockieren. „Wir müssen deutlich machen, dass kein Mitgliedsstaat beabsichtigt, die Autorität des UN-Sicherheitsrats zu untergraben“, weist Tony Blair den Ratspräsidenten aber an. Dieser Wink mit dem Zaunpfahl zielt natürlich in Richtung Berlin. Schröders kategorisches Nein zum Krieg – abgekoppelt von der Meinungsbildung im UN-Sicherheitsrat – wird von Bushs treuestem Verbündeten als Provokation empfunden.

Das EU-Parlament sieht das völlig anders. Dort wird Simitis morgen früh die Ergebnisse des Sondergipfels präsentieren müssen. Die überwältigende Mehrheit der Abgeordneten ist für die Fortsetzung der UN-Kontrollen und gegen einen Angriffskrieg.

165 Parlamentarier – fast ein Drittel des Parlaments – haben ebenfalls einen Brief geschrieben, dieses Mal an den deutschen Bundeskanzler: „Das Europäische Parlament gibt der Meinung der Europäer in allen 15 Mitgliedsstaaten Ausdruck, die bis zu 90 Prozent wie Sie und wir gegen einen Krieg sind.“ Angesichts dieser Gemengelage mögen Costas Simitis Zweifel kommen, ob die Einladung zum Sondergipfel nach Brüssel zum jetzigen Zeitpunkt eine gute Idee war. Ein Ergebnis, das über die blasse Erklärung der Außenminister vom 27. Januar hinaus geht, ist nicht zu erwarten.

Den Griechen geht es hauptsächlich darum, die diplomatische Schmach wettzumachen, die ihnen durch einen anderen Brief entstanden ist: durch die Solidaritätsadresse, die fünf EU-Mitglieder hinter ihrem Rücken an George Bush verfasst haben. Vielleicht sollte deshalb der Appell von Costas Simitis heute Abend lauten: Freunde, denkt nach, bevor ihr zur Feder greift!