IRAKPOLITIK: CARSTEN VOIGT VERZICHTET AUF MACHTFRAGEN
: Ein Lob für die US-Demokratie

Carsten Voigt, in seiner Jugend ein wider den Stachel löckender Juso und auf seine alten Tage mit der offiziellen Pflege der transatlantischen Beziehungen betraut, hat sich in dieser Eigenschaft für die USA in die Bresche geworfen. Inmitten der vielen schlechten Nachrichten aus Übersee, so Voigt, gäbe es auch eine gute. Die Berichterstattung der unabhängigen Medien zu den Foltervorwürfen im Irak, aber auch die Entschuldigung im Kongress bewiesen, dass die amerikanische Demokratie über genügend Selbstheilungskräfte verfüge, um rechtsstaatliche Normen im Umgang mit den irakischen Internierten durchzusetzen und die Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen.

Klingt gut. Nur dass Voigt die Antwort auf eine Frage gibt, die kaum jemand stellt. Man muss sich nur die Liste der Initiativen ansehen, die den Gefangenen von Guantánamo im Prozess vor dem Obersten Gerichtshof zur Seite getreten sind, um jede Rede von der politischen Friedhofsruhe in den USA ins Reich der Fabel zu verweisen. Die amerikanische politische „Zivilgesellschaft“ muss nicht wachgeküsst werden – sie agiert längst.

Die Frage hingegen, die Carsten Voigt nicht stellt und auf die er deswegen auch keine Antwort gibt, lautet: Wie stark ist der Machtblock, auf den die Bush-Administration sich stützt und gegen die der Protest jetzt anrennt? Oder: Wird es Bush gelingen, mittels seines durch Abermillionen Dollar Wahlkampfspenden abgestützten „patriotischen“ Propagandafeldzugs eine Wählermehrheit zu mobilisieren und damit seinen brandgefährlichen Kriegskurs fortzusetzen? Schließlich: Wie hoch werden die Kosten sein, die wir alle zu tragen haben, bis das amerikanische Volk sich dieser Führung entledigt?

In Voigts Zuversicht kommt ein altes sozialdemokratisches Gebrechen zum Vorschein: ein abstrakter Demokratiebegriff und der mit ihm verbundene Aberglaube, demokratische Institutionen würden kraft ihrer schieren Existenz funktionieren und nicht deshalb, weil in jeder Lage mit unsicherem Ausgang um sie gekämpft werden muss. Carsten Voigts Bekenntnis zur amerikanischen Demokratie erschöpft sich im Wohlklang.

CHRISTIAN SEMLER