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■ Ein Kirchenstreit in Norddeutschland beweist: In der Debatte um Homosexualität wurde bisher wenig erreichtEthik und Pathetik

In der größten Glaubensgemeinschaft Norddeutschlands herrscht Unfrieden. Schon vor Monaten hat Synodalpräsidentin Elisabeth Lingner, Laiin und hauptberuflich in den oberen Etagen der Hamburger Sozialbehörde tätig, ihren – minderheitlich – konservativ bis fundamentalistisch orientierten Glaubensgeschwistern den durchaus jesuanisch inspirierten Fehdehandschuh hingeworfen. Sie hat ihrer Kirche vorgeworfen, zu keiner Zeit sich vor Homosexuelle gestellt zu haben, um sie vor Diskriminierungen zu schützen – wobei doch genau dies die Aufgabe von Kirche sei, den Mühseligen und Beladenen eine Heimstatt zu bieten. Und Ende September hat die nordelbische Synode, das aus Laien, Theologen und Pastoren bestehende Kirchenparlament, genau die Frage diskutiert, in der alle christlichen Kirchen noch erheblich aufzuholen haben, um Anschluß an die Moderne zu halten. Es ging vordergründig um Lebensformen, in Wirklichkeit um Fragen zur sogenannten wilden Ehe und zur Homosexualität.

Und da hat Synodalpräsidentin Lingner weitere Tabus angesprochen: Schwulen oder lesbischen Pastoren und Pastorinnen müsse es ermöglicht werden, nicht zu lügen – beispielsweise in der Frage, wenn sie mit ihren Lebensgefährten zusammenleben wollen. Das sollte selbstverständlich möglich sein, so die Kirchenfunktionärin: „Wir stehen für die Nächstenliebe ein, nicht für Nächstenlüge.“

Der weitere Skandal: Bischöfin Maria Jepsen, die erste Frau überhaupt in einer evangelisch-lutherischen Kirche, weist ihre Schwester im Geiste nicht zurück. Sie laviert zwar, hält sich strikt an das Pfarrergesetz, das homosexuelle Lebensgemeinschaften in Pastorenhäusern verbietet, ebenso übrigens wie die heterosexuelle Liebe ohne Trauschein. Jepsen will jedoch die Diskussion um diese Fragen – um jeden Preis. Sie wird wissen, daß allein in Hamburg mindestens zehn Prozent aller Pastoren und Pastorinnen homosexuell sind. Einige von ihnen haben ihre Lebensgefährten bei sich wohnen – illegal. Die meisten trauen sich genau dies nicht und verzichten lieber ganz auf eine öffentlich nicht geleugnete Partnerschaft.

Was sich jedoch wie der Beginn eines wunderbaren Diskurses anhört, wie die Offenbarung sozusagen eines nicht zur Welt hin verschlossenen Nachdenkens, schreckte eilends eine Schar von Christen auf – Helge Adolphson, Pastor der Senatoren- und Prominentenbeerdigungskirche St. Michaelis und nebenbei Verlierer bei der Bischofswahl gegen Maria Jepsen, ebenso wie den früheren SPD- Verteidigungsminister Hans Apel und andere Figuren, die in einem offenen Brief nur eines im Sinn vortrugen: Kirche dürfe nicht nur für Minderheiten eintreten, müsse sich in erster Linie um die geringer ausfallenden Kirchensteuern kümmern und schließlich und endlich die Finger lassen von solch unappetitlichen Dingen wie Homosexualität und wilder Ehe. Sie wollen die Kirche als rein karitative Organisation, die die Lebensfeste der abendländischen Gemeinschaft ausrichtet – Taufen, Hochzeiten, Konfirmationen und Beerdigungen.

Der Streit ist längst nicht entschieden. Die Bischöfin hat dekretiert, daß niemand vorgesehen habe, Normen neu zu deklinieren, doch diskutiert werden dürfe ja wohl. Beispielhaft ist der Konflikt vor allem in der Hinsicht, daß offenbar das Selbstverständliche immer noch umstritten ist, sofern es sich nicht um Hilfe oder Beratung geht: Denn diese autoritären Formen der Umgehensweise mit Homosexualität werden von jenen Konservativen durchaus gebilligt.

Vom bizarren Umstand abgesehen, daß das Christentum als erstes nur für Liebe steht und nicht für die ewige Neuformulierung von heterosexueller Moral, daß in den Zehn Geboten nirgendwo etwas vom exklusiven Rang von Mann- Frau-Lebensgemeinschaften steht, zeigt der Streit die Brüchigkeit der momentanen gesellschaftlichen Verhältnisse im Hinblick auf die Akzeptanz von Schwulen und Lesben, überhaupt von Menschen, die aus dem Raster der bürgerlichen Kleinfamilie fallen.

Und dabei geht es nicht nur um Sekten oder größere Glaubensgemeinschaften: Wer unbedingt den Lackmustest wagen will, teile alternativ gesinnten Eltern angesichts ihres Neugeborenen so beiläufig wie möglich mit, daß man doch gleich erkenne, daß der Kleine schwul beziehungsweise die Kleine garantiert lesbisch wird. Was als Scherz gemeint sein möge, provoziert irritierende Blicke, meist jedoch erntet man das unverblümte Geständnis, keinesfalls zu wollen, daß der Nachwuchs so wird. Insofern beweist der angebliche Kirchenkampf nur, wie weltlich die Probleme sind: Offenbar ist den meisten Menschen nach wie vor ein Greuel, sich das Andere, das Fremde und in diesem Fall das Homosexuelle als lebens- und liebenswert vorzustellen.

Kein neues Wehgeschrei: Gewiß hat sich in den vergangenen zehn Jahren eine gesellschaftliche Offenheit dem Homosexuellen gegenüber entwickelt. Doch scheint sie eher nach dem Prinzip des anything goes funktioniert zu haben. Gerade an den Diskussionen in der nordelbischen wie auch in anderen evangelischen Kirchen zeigt sich, wie wenig trotzdem bisher erreicht wurde: Als Opfer und Beratung Suchende, als Aids-Kranke sind wir ihnen recht, als normale Staatsbürger – ausgestattet mit allen Rechten, die sich daraus ergeben – hingegen nicht. Subaltern sind Homosexuelle den Konservativen genehm, als Souveräne nicht.

Insofern hat der Streit in der nordelbischen Kirche Mustercharakter: Lingner und andere wollen nichts anderes, als das Homosexuelle aus dem Feld des Stigmatisierten herausholen. Sie können sich einen heterosexuellen wie einen homosexuellen Lebensentwurf als wünschenswert vorstellen – ohne Unterschiede. Würden sie diese Diskussion am Ende gewinnen, wäre auch für den Rest der Gesellschaft viel gewonnen, denn andere Institutionen haben dringend nötige Debatten um Lebensformen nicht auf der Tagesordnung: Homosexualität wäre aus der Beweispflicht heraus.

Im übrigen haben Adolphsen und Apel recht: Man wird über Kirchensteuern diskutieren müssen. Warum soll eine Organisation staatliche Zuwendungen in Milliardenhöhe erhalten dürfen, die ihre homosexuellen Angestellten diskriminiert? Weshalb soll man in einer Glaubensgemeinschaft bleiben, die ihren emotionalen Zuspruch an gelebte Heterosexualität knüpft. Wem nützt die ganze Karitas, wenn sie im Geiste einer Religion ausgeübt wird, die Sexualität vorwiegend noch an Fortpflanzung gebunden wissen will? Jan Feddersen

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