Ein Jahr nach Nazi-Attacke: Erfolg gegen rechts in Templin
Der Bürgermeister von Templin engagiert sich mit Konzerten und Veranstaltungen gegen die Rechten – in Internetcommunitys und -Foren sind sie aber immer noch aktiv.
TEMPLIN taz | Ein Jahr nach dem grausamen Mord zweier Rechtsextremisten am Arbeitslosen Bernd K. zeigt die Bekämpfung der rechten Szene im brandenburgischen Templin erste Erfolge. Bürgermeister Ulrich Schoeneich, der noch kurz nach dem Mord die Existenz der Szene verleugnet hatte, gibt sich heute geläutert und unterstützt bürgerliches Engagement für Demokratie in seiner Stadt. Die Schläger Sven P. und Christian W. sind zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden - genau wie weitere Täter aus dem Milieu.
Vor einem Jahr hatten Sven P. und Christian W. nach einem Besäufnis den arbeitslosen Alkoholiker Bernd K., genannt Stippi, erschlagen. Dabei sind die beiden heute 19- und 22-Jährigen besonders brutal vorgegangen und wollten den hilflosen Bernd K. sogar anzünden.
Erste Schritte gegen den Rechtsextremismus sind nun durch harte Strafen gegen Täter aus der Szene erreicht. Lolita Lodenkämper, Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft Neuruppin, betonte die Null-Toleranz-Maxime ihrer Behörde: "Wir werden weiter mit hohem Verfolgungsdruck jede rechtsextreme Straftat zügig vor Gericht bringen." Für den Leiter der Templiner Polizeiwache, Harald Löschke, hat sich qualitativ einiges in der Stadt verbessert. Die Kommunikation zwischen Bürgermeister und Polizei funktioniere mittlerweile gut. "Die Bürger nennen neuerdings ihren Namen, wenn sie bei uns anrufen, um einen Vorfall zu melden. Das gab es vorher nicht."
In diesem Jahr habe es in Templin erst eine politisch motivierte Gewalttat gegeben, berichtet er. Dazu nur wenige rechte Propagandadelikte. Löschke: "Wir halten die verstärkten polizeilichen Maßnahmen, die wir im November 2007 eingeführt haben, weiter aufrecht." Trotzdem ist er vorsichtig geworden. Er werde nie mehr behaupten: "Wir haben die Szene voll im Griff."
Dass sich die Kommunikation zwischen Polizei und Stadtverwaltung verbessert habe, bestätigt auch Templins Bürgermeister Ulrich Schoeneich. Aus seiner Sicht hat sich nach dem Mord viel getan. Er verweist auf das Benefizkonzert, das Demokratiefest und mehrere öffentliche Diskussionsveranstaltungen. Zudem gab es eine Sitzung der Stadtverordneten mit dem Verfassungsschutz und eine Schulung, um Mitarbeiter der Stadtverwaltung für das Thema Rechtsextremismus zu sensibilisieren. "Wir haben eine Stabstelle für Demokratieentwicklung und Toleranz geschaffen, die mir direkt unterstellt ist", erklärt er. Große Hoffnungen setzt Ulrich Schoeneich auch in eine Sozialraumanalyse, die von Wissenschaftlern der Potsdamer Uni in Templin durchgeführt wird.
Einige andere Ideen konnte der Bürgermeister nicht durchsetzen. So scheiterte sein Versuch, ein Alkoholverbot an öffentlichen Plätzen der Stadt einzuführen. Seine Vorstellung, die Arbeit der fünf städtischen Jugendarbeiter neu zu organisieren und deren Arbeitsgebiet auch auf die Straße zu verlagern, stockt ebenfalls - die bisherige Leiterin hat sich einen anderen Arbeitgeber gesucht.
Ganz verschwunden ist die rechte Szene aus dem Stadtbild allerdings noch nicht. Extremisten laufen durch die Straßen, oft im Outfit "autonomer Nationalisten" mit Feldmützen und Palästinensertuch. Eine Gruppe besuchte anfangs den Mordprozess. Gelegentlich gibt es auch noch Pöbeleien in Kneipen.
Allerdings hat das rigorose Vorgehen von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten offenbar Eindruck auf die Rechtsextremisten gemacht. Präsent wirken sie nur noch in Internetcommunitys. Die Profile sind gespickt mit rechten Feindbildern und eindeutigen Fotos - auch von dem bekannten Schläger Martin M. Dieser beteuerte vor Gericht, er gehöre nicht mehr zur rechten Szene - im Netz sieht dies völlig anders aus. Er zeigt sich auf Fotos bei Demonstrationen, auf denen er in eindeutiger Pose auftritt. Wenn man seinen Freundeskreis in der Community verfolgt, hat man die Templiner rechte Szene schnell beisammen. Auch wenn er mittlerweile versucht, sein Profil in Teilen abzusperren. Es gibt in Templin noch einiges zu tun.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs