Ein Chronist deutscher Verdrängungen

Das Qualitätsfernsehen war seine Heimat. Der Regisseur Eberhard Fechner ist am Freitag gestorben  ■ Von Knut Hickethier

Er hat sich als einer der wenigen deutschen Filmregisseure dazu bekannt, nur für das Fernsehen zu arbeiten, und zugleich dem Apparat Arbeitsbedingungen abgetrotzt wie kaum ein anderer. Zwischen Fiktion und Dokumentation hat er sich souverän bewegt und zugleich einen unverwechselbaren Stil gefunden. Das Denken in Sparten und Ressorts war ihm fremd, ihm ging es immer um die Menschen, um ihre Lebenswege, Haltungen, Verdrängungen, Schicksale. Am letzten Freitag ist Eberhard Fechner mit 65 Jahren an Herzversagen gestorben.

Wie kein anderer Dokumentarist hat Fechner, der sich selbst nie als Dokumentarist verstand, sondern als einer, der mit seinen Filmen etwas von den Menschen erzählen wollte, anregend auf zahlreiche andere Filme- und Fernsehmacher gewirkt, auch wenn sich keine theoretischen Debatten um seine dokumentarische Methode entwickelt haben. Seine Filme schließen sich zu einem Werk, in dem kollektive Verhaltensweisen und mit ihnen auch deutsche Mentalität präzise und authentisch wie sonst selten vorgeführt werden.

Der 1926 im schlesischen Liegnitz geborene und in Berlin aufgewachsene Eberhard Fechner spielte in den fünfziger Jahren auf zahlreichen deutschen Bühnen, bis er 1961— unzufrieden mit der deutschen Stadttheaterpraxis — in einem damals ungewöhnlichen Schritt zu Georgio Strehler nach Mailand ging. Als er nach Deutschland zurückkam, fand er den Weg zum Fernsehen, wurde 1965 in Hamburg vom NDR- Fernsehspielchef Egon Monk als Darsteller für dessen berühmten KZ- Film „Ein Tag“ engagiert.

Durch Monk erhielt er die Gelegenheit zur Filmregie. Sein großer Durchbruch war der dokumentarische Film „Nachruf auf Klara Heydebreck“ (1969) über das unbeachtete Leben einer Frau, die 72jährig Selbstmord beging. Aus zahlreichen Interviews von Verwandten, Bekannten, Nachbarn montierte Fechner ein ungewöhnlich intensives Bild eines ganz „normalen“ Lebens. Sujetwahl und filmische Form ergänzen sich: Das Alltägliche wurde darstellbar, fand eine beeindruckende ästhetische Gestaltung.

Mit seiner Form der Zerlegung der Interviews und ihrer neuen thematisch bündelnden Montage, in der sich einzelne Aussagen, Statements der Befragten ergänzen und verdichten, ließ Fechner, ohne selbst die Bilder und Aussagen zu kommentieren, ein Tableau von Aussagen entstehen, in dem das kollektiv Verbindende der verschiedenen subjektiven Erfahrungen sichtbar wurde.

Immer wieder und in neuen Variationen setzte er seine Montagetechnik ein. „Klassenphoto“ (1970) war beispielsweise die Rekonstruktion des Lebenswegs der Schüler einer Berliner Schulklasse von 1933. Die „schweigende Generation“ von Mittelschichtlern interessierte Fechner sein Leben lang, und das, was sie in ihrem Leben verdrängten. Mit „Unter Denkmalschutz“ porträtierte Fechner die Bewohner eines Hauses. „Lebensdaten“ (1975), „Die Comedian Harmonists“ (1976), „Im Damenstift“ (1984), „La Paloma“ (1988), „Wolfskinder“ (1991) vervollständigten seine Darstellungen einzelner sozialer Schichten.

Seine Methode, Leute vor der Kamera mit geduldiger Zuwendung zum Sprechen zu bringen und Dinge sagen zu lassen, die sie bislang in ihrem Inneren verschlossen hielten, fand in seinem Film über den Majdanek-Prozeß den überzeugendsten Ausdruck. Der dreiteilige Film „Der Prozeß“ (1984), an dem Fechner acht Jahre arbeitete, wurde jedoch nur in den Dritten Programmen gezeigt. Die Programmverantwortlichen scheuten die Konsequenz, mit der der Film von seinen Zuschauern eine langsame, geduldige Art des Zuhörens und Hinschauens abverlangt— und die das Fernsehen vielen anderen Medien voraushaben könnte, wenn es nicht dem quotentreibenden Aktualitätsfetischismus verfallen wäre.

Fechners Filme leben aus einem scheinbaren Paradox heraus: Ganz den Selbstäußerungen der gezeigten Menschen folgend und damit scheinbar der Oberfläche verhaftet, machen sie durch die Montage der Äußerungen gerade das Ausgesparte, das, was verschwiegen, vergessen, verdrängt wird, deutlich.

Seine dokumentarischen Psychogramme deutscher Geschichte wurden ergänzt durch Fernsehspiele, die zumeist nach literarischen Vorlagen historische Umbruchphasen vorführten. „Tadellöser und Wolff“ (1974) und „Ein Kapitel für sich“ (1979) gehörten dazu. Die Verfilmung von Ralph Giordanos „Die Bertinis“ mußte er 1986 bereits wegen seiner ausbrechenden Herzkrankheit aufgeben, Monk verfilmte den Stoff dann nach eigenem Konzept. Die fiktive Geschichte einer „Villa Grunewald“, an der er arbeitete, konnte er nicht mehr abschließen.

Das große Thema Fechners war der deutsche Faschismus und seine Verankerung in den deutschen Kleinbürger- und Mittelschichten. Der alltägliche Opportunismus hat ihn beschäftigt, die Verdrängungen nach dem Kriege, die die bundesdeutsche Mentalität so nachhaltig prägten. Er suchte sein Publikum auf einer breiten Ebene, deshalb war das Fernsehen mit seinen Millionen Zuschauern seine Heimat. Obwohl er einen politischen Anspruch besaß und mit seinen Filmen Aufklärung betrieb, hat er sich nicht programmatisch zum Filmemachen geäußert. So wie er sich selbst mit Kommentaren in seinen Filmen zurückhielt, so sehr wollte er allein durch die Filme wirken.

Fernsehpolitisch aktiv wurde Fechner in den letzten Jahren jedoch als Mitglied der Akademie der Künste. Der Ärger darüber, daß die Filme nach der Ausstrahlung durch die Anstalten in der Regel in den Fernseharchiven verschwinden, für das Publikum damit unerreichbar sind und vergessen werden, ließ ihn zum energischen Fürsprecher für ein Fernsehmuseum, ein deutsches „Museum of Broadcasting“, werden. In mehreren Aktionen setzte er sich— gegen den hinhaltenden Widerstand der Anstalten — immer wieder dafür ein.

Im schnellen Einschaltquoten- Fernsehen wurde Fechner, dem das Medium so viel zu verdanken hat, in den letzten Jahren immer mehr zu einem letzten, fast schon anachronistischen Vertreter seines Qualitätsfernsehens. Seine Prominenz sicherte ihm noch Spielräume, die Jüngeren inzwischen längst nicht mehr zugestanden werden. Mit dem Tod Fechners geht dem Fernsehen damit auch ein Stück seiner qualitativen Möglichkeiten verloren.