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Ein Bekenntnis wider das Vergessen

■ Gesamtdeutsches Parlament soll eindeutiges Bekenntnis zur kollektiven Verantwortung für die Verbrechen der Nazi-Zeit geben/ Geschichte der Juden in Universitäten besser vermitteln

Bonn (afp) — Das gesamtdeutsche Parlament soll nach dem Willen des Rats der jüdischen Institutionen Frankreichs (CRIF) am 4. Oktober in Berlin eine Erklärung verabschieden, in der es sich zur kollektiven Verantwortung aller Deutschen für die Verbrechen der Nazi-Zeit bekennt. Das verlangte eine Delegation unter Leitung des CRIF-Vorsitzenden Jean Kahn bei einem Treffen mit dem Staatsminister im Kanzleramt, Lutz Stavenhagen. Wie Kahn anschließend mitteilte, wird die Delegation, der auch der als „Nazi-Jäger“ bekannte Rechtsanwalt Serge Klarsfeld angehört, nach der gesamtdeutschen Wahl am 2. Dezember mit Bundeskanzler Helmut Kohl zusammenkommen.Der jüdische Dachverband bedauert, daß in der Präambel des Einigungsvertrages kein Hinweis auf die Zeit des Nationalsozialismus zu finden sei, obwohl Kohl entsprechende Zusagen gemacht habe. Eine Erklärung könne dieses Versäumnis im nachhinein ersetzen. Die sechs Millionen jüdischen Opfer der Deutschen hätten das Recht, daß ihr Gedächtnis am Leben bleibe, sagte Kahn.

In gleichem Sinne hatte sich vergangene Woche auch die Berliner „Initiative 9. November“ mit einem offenen Brief an die Bundestagspräsidentin und sämtliche Fraktionen gewandt. Die Verdrängung der Opfer des Nationalsozialismus aus dem Gedächtnis begünstige einen neuen deutschen Nationalismus. Die Initiative wurde bereits 1988 zum Protest gegen eine pompöse Feier des CDU- Senats zum 50. Jahrestag der „Kristallnacht“.

Die Delegation des CRIF, der die mit 700.000 Angehörigen größte jüdische Gemeinde Westeuropas vertritt, forderte außerdem, daß Bundespräsident Richard von Weizsäcker in seiner Rede am 3. Oktober im Berliner Schauspielhaus eine „klare Aussage“ zur kollektiven Verantwortung des vereinten Deutschlands für die zwischen 1933 und 1945 an Juden begangenen Verbrechen machen solle. „Wir haben uns alle gefreut, als die Mauer der Schande gefallen ist. Wir können uns aber nur weiter freuen, wenn die Einheit sich nicht zum Schaden der Erinnerung an die Juden vollzieht.“ Die CRIF- Delegation regte ferner die Gründung eines deutsch-französischen Ausschusses an, der sich mit der Geschichte der Juden befassen und dazu beitragen soll, daß diese in den Schulen und Universitäten besser vermittelt wird. Zudem sollten in Deutschland zwei Lehrstühle für die Geschichte der an den Juden begangenen Verbrechen errichtet werden. „Wir kämpfen gegen alle Historiker, die die Schoah banalisieren“, sagte Kahn. In Freiburg solle zudem ein Forschungszentrum mit einem Archiv errichtet werden, in dem Historiker aus aller Welt die Judenverfolgung erforschen können. Die Vorschläge seien von Stavenhaben positiv aufgenommen worden.

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