Eigene Stasi-Akte bei Dreharbeiten gefunden: Ein unwahrscheinlicher Zufall

Bei Dreharbeiten werden kopierte Stasiakten als Requisiten verwendet. Einer der Mitwirkenden findet seinen eigenen Ausreiseantrag. Wie kann das sein?

Hier sollten Akten eigentlich lagern: Archiv der Stasiunterlagen-Behörde in Berlin. Bild: dpa

"Ich fühle mich", sagt Mario Röllig, "als sei jemand in meine Wohnung eingebrochen, und drei Tage später finde ich meine Sachen auf dem Flohmarkt wieder." Der 42-Jährige sitzt in einem Berliner Café, vor ihm liegt ein wüster Haufen Papier. "Kopie BStU" prangt auf den sauber gelochten Blättern, es ist der Stempel der Stasiunterlagenbehörde. Röllig ist aufgeregt. Das Damals findet immer wieder zu ihm zurück. Immer zu ihm.

Was ist passiert? Bei der Verfilmung des Theaterstücks "Staats-Sicherheiten" in einem Berliner Studio sind unter den Requisiten Kopien von Stasiakten entdeckt worden. Die preisgekrönte Inszenierung ist eine Textmontage ehemaliger Stasihäftlinge. Die 15 Darsteller - neben Mario Röllig und dem Liedermacher Stephan Krawczyk auch die CDU-Bundestagskandidatin Vera Lengsfeld - schildern darin sehr bewegend, wie das Ministerium für Staatssicherheit ihr Leben zerstört hat, welche Ängste sie auszustehen hatten, wie diese Erfahrung sie geprägt hat. Für eine Filmszene hat die Requisite Akten in hohe Regale gestellt, die Darsteller sollen sie herausziehen und auf den Boden werfen. Mario Röllig schlägt eine auf, "und auf einmal sehe ich meine Kopie". Er findet Observationsberichte, Telegramme, auch einen handschriftlichen Brief von 1987, in dem er aus der Stasihaft heraus seine "Ausreise nach Berlin (West)" beantragt. Ein unwahrscheinlicher Zufall, das meint auch er.

Röllig ist ein sehr verletzlicher Mensch, das hat mit seiner DDR-Vergangenheit zu tun. 1987 wurde der damals 19-Jährige bei einem Fluchtversuch gefasst. Er kam in den Ostberliner Stasiknast, wo ihm die Genossen derartige Furcht, ja Todesangst einflößten, dass er noch immer unter den Folgen leidet. Heute ist der Kellner berentet, wenn er durch die Straßen Berlins geht, schaut er immer nach einer Sitzmöglichkeit, weil ihm mitunter einfach die Beine wegsacken. Die Geschichte mit den Akten am Mittwoch letzter Woche "ging mir richtig nah", sagt er, "ich hab mich erst mal auf der Toilette eingeschlossen. Die Dreharbeiten wurden unterbrochen."

Wie erklärt Mario Röllig sich, dass von 17 Millionen DDR-Bürgern ausgerechnet seine Akte in seine Hand fällt? Er weiß es nicht. "Das ist ein Stück aus dem Leben, das kann man nicht erfinden. Aber es muss geklärt werden, wo das Zeug herkommt."

Die Stasiunterlagenbehörde sucht nach einer Erklärung. Man habe "unverzüglich mit dem Studio vereinbart, dass kein Zugriff mehr erfolgen kann", sagt ein Sprecher. "Derzeit wird der gesamte Sachverhalt gemeinsam geprüft." Mehr scheint vorerst nicht möglich. Vera Lengsfeld, die frühere DDR-Bürgerrechtlerin hingegen, bezeichnet den Vorgang als "Skandal" und wirft der BStu vor, dass die Birthler-Behörde keine rechte Kontrolle darüber habe, was aus ihren Archiven nach außen dringt. Das Auftauchen von Rölligs Akte könne sie "nicht für Zufall halten".

Mario Röllig weiß, "dass Frau Lengsfeld und Frau Birthler öfter schon Differenzen hatten". Als er vor laufenden Kameras auf seine Akte stieß, stand sie neben ihm. Sie soll zu ihm gesagt haben, da wollten wohl frühere Stasimitarbeiter, "dass du die Nerven verlierst". Wäre dem so, hätten sie ihr Ziel nicht erreicht. "Ich kann Angriffe gut ab", sagt Mario Röllig.

"Das kann man nicht erfinden. Aber es muss geklärt werden, woher das Zeug kommt"

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