Ehemalige Hauptstadt spart sich die Kultur: Bonn packt's weg
Stadttheater, Kunstmuseum, Beethoven-Orchester: Die frühere Bundeshauptstadt Bonn stellt per Bürgerbeteiligung ihre Kultur zur Diskussion - und zur Disposition.
Je leerer die Kasse, desto stärker sucht die Kommunalpolitik Rückendeckung bei den Bürgern. In Nordrhein-Westfalen machen nach ersten Versuchen mit sogenannten Bürgerhaushalten nun Bürgerbeteiligungen die Runde, bei denen die Bewohner eigene Sparvorschläge machen und Vorschläge der Verwaltung bewerten können. Nach Solingen, Aachen und Overath hat am 18. Januar Bonn sein Internetportal "Bonn packt's an!" freigeschaltet, das den gesamten Bereich der freiwilligen Leistungen der Kommune zur Diskussion stellt.
Dabei stehen die Sportförderung oder Jugendarbeit genauso zur Disposition wie der gesamte Kulturbereich vom Stadttheater über das Kunstmuseum bis zur freien Kulturszene. "Wir haben uns entschlossen zu zeigen, was von Seiten der Bezirksregierung alles in Frage gestellt würde, wenn wir in einen Nothaushalt gerieten", sagt Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch im Gespräch. Bei einem strukturellen Defizit von über 200 Millionen Euro für den Zeitraum 2011/12 muss die Stadt damit rechnen. Trotzdem klingt Nimptschs Äußerung eher nach einem Warnschuss als nach einem gestalteten Partizipationsverfahren.
Wie absurd dabei vorgegangen wurde, zeigt ein Blick in die Sparliste. Einerseits setzt die Stadt Bonn auf das Image als Beethovenstadt, lässt aber unter dem Kürzel D49 über das Beethoven-Orchester abstimmen. "Wir sind nicht mit der Haltung angetreten, dass wir hier Säulen der städtischen Kulturarbeit zur Disposition stellen", wiegelt Nimptsch ab und verweist auf die gerade eingesetzte Kommission, die ein Kulturentwicklungskonzept für Bonn erarbeiten soll. Wozu dann ein Votum? Man wird den Verdacht nicht los, dass die Bürgerbeteiligung hier an die Stelle des politischen Gestaltungswillens tritt. Oder soll sie ihn populistisch flankieren?
Unmittelbar vor der Bürgerbeteiligung wurde versucht, das Theater sturmreif zu schießen. Im Dezember schlug Oberbürgermeister Nimptsch vor, die Bonner Oper von Köln bespielen zu lassen und selbst den Tanz in die Nachbarstadt zu liefern. Dass beide Häuser in Größe und Struktur nicht kompatibel sind, spielte dabei keine Rolle. Man wundert sich nicht, dass auf der "Bonn packts!"-Liste neben einem Theater-Sparvorschlag von 8,5 Millionen Euro auch die Streichung des Betriebskostenzuschusses des Theaters für die Jahre 2011-2015 in Höhe von 66,8 Millionen Euro auftaucht. Da der Vertrag des Generalintendanten Klaus Weise noch bis 2013 läuft, bringt das für die anstehenden Haushaltsberatungen nichts.
Danach allerdings schon. "Dass das die Schließung des Theaters bedeutet, geht daraus nicht hervor", kritisiert Weise. Zweifel hegt er auch am Einsparvolumen, weil die fest angestellten Mitarbeiter von der Stadt weiter beschäftigt werden müssten. Die Bürger schlagen vor allem eine Erhöhung der Eintrittspreise, mehr Sponsoring und die Streichung der Subventionen vor.
Wie tendenziös die Sparvorschläge der Verwaltung zum Teil formuliert wurden, zeigt die Seite "Zuschüsse für die Kulturförderung", womit die freie Szene gemeint ist. Dort heißt es: "Diese Kulturförderung trägt dazu bei, dass Bonn für seine Bürgerinnen und Bürger sowie für seine Gäste aus dem In- und Ausland ein vielfältiges und abwechslungsreiches Kulturangebot in allen Bereichen vorhalten kann." Kein Wort davon auf den Seiten des Theaters. Folge: Bei der "Kulturförderung" überwiegen die Stimmen gegen Kürzungen, beim Theater ist es umgekehrt.
Noch bis zum 16. Februar haben die Bonner Bürger Zeit, ihr Votum abzugeben. Die 50 Vorschläge mit den meisten Stimmen sollen in die Beratungen für den Doppelhaushalt 2011/12 einfließen. Am Ende könnte die Bonner Kulturlandschaft einem untergepflügten Acker gleichen und die Schuldigen wären, so suggeriert es uns die Politik, dann die Bürger selbst.
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