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■ Edward Luttwack vom „Center for Strategic and International Studies“ über die Außenpolitik Bill Clintons„Massenmörder zu töten ist legitim“

Professor Edward Luttwak ist Direktor für Geo-Ökonomie am „Center for Strategic and International Studies“ in Washington und Autor mehrerer Bücher, darunter „Pentagon and the Art of War“, sowie „Strategy – The Logic of War and Peace“. Die taz sprach mit ihm über die zukünftige Rolle der UNO und der Außenpolitik Clintons vor dem Hintergrund der Konflikte in Somalia und Bosnien.

taz: Wie gut oder schlecht macht sich Bill Clinton nach sechs Monaten Amtszeit als Außenpolitiker?

Luttwak: Dies ist der Präsident, der immer betont hat, daß er der Innenpolitik weit mehr Bedeutung zumißt als der Außenpolitik. Gleichzeitig hat er eine Personalpolitik betrieben, die diesem Ansatz völlig entgegensteht. Ein Präsident, der die Außenpolitik selbst gestalten will, braucht einen Typen wie Dean Rusk [US-Außenminister unter John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson, Anm. d. Red.] im Außenministerium, einen „Mister Nobody“ also. Ein Präsident, der sich voll auf die Innenpolitik konzentrieren will, braucht das Gegenteil: einen unabhängigen Akteur als Außenminister – Typen wie John Foster Dulles oder Henry Kissinger. Clinton hingegen hat Warren Christopher berufen, ein Mann, der aktiv genug ist, um ihm Probleme zu bereiten, aber unfähig, welche zu lösen. Also hat Clinton seit Beginn seiner Präsidentschaft außenpolitisch einen Reinfall nach dem anderen zu verbuchen. Wenn er Christopher behält, kann er sicher sein, daß diese Kette nicht abreißen wird. Warren Christopher ist für den Posten des Außenministers einer Supermacht schlicht ungeeignet. Zweitens haben wir im Verteidigungsressort eine Paralyse zu verzeichnen, was vor allem an dem gespannten Verhältnis zwischen der militärischen und zivilen Führung liegt. Die Autorität der zivilen Führung ist enorm geschrumpft. Wenn in den USA die militärische Führung Oberhand über die zivile gewinnt, dann setzt sie auch ihre politisch- militärische Präferenz in der Außenpolitik durch, die da lautet: Am besten gar nichts tun.

Nun sind Ansätze von Clintons Außenpolitik inzwischen durch ein Papier der Sicherheitsberater im Weißen Haus bekannt geworden, das demnächst in Form einer Direktive vom Präsidenten unterzeichnet werden soll. Da wird zum einen unter dem Stichwort „Präventive Diplomatie“ der Einsatz von Vermittlern bei Konflikten in der ehemaligen Sowjetunion diskutiert, zum andern, wenn auch sehr halbherzig, eine Stärkung der UNO als „Ersatzweltpolizei“ befürwortet. Mit angezogener Handbremse scheinen die USA sich also auf ein Konzept des Multilateralismus im Rahmen der UNO zuzubewegen...

Um das Konzept des Multilateralismus wird zur Zeit in- und außerhalb der Administration heftig gestritten. Vom konventionellen Standpunkt aus betrachtet, ist die UNO eine wunderbare Maschine, die irgendwann ein Produkt namens „kollektive Sicherheit“ ausspuckt. Ebensfalls zur konventionellen Position gehört der Glaube, daß der Kalte Krieg die Funktionstüchigkeit des Sicherheitsrates lahmgelegt hat. Dann gibt es andere, denen ich mich anschließe, die überzeugt sind, daß der Kalte Krieg die Unfähigkeit der UNO lediglich kaschiert hat. Die UNO kann nicht funktionieren, weil sie keine moralische Grundlage hat.

Da gäbe es immerhin das Völkerrecht und die Charta der Vereinten Nationen, auf die man sich als moralische Grundlage einigen könnte...

Aber es gibt keinen Konsens. Man befindet sich zwar in weltweiter Übereinstimmung darüber, daß Delphine zu schützen sind. Wären die bosnischen Muslime Delphine, dann hätte die Welt nie zugelassen, daß Kroaten und Serben sie massakrieren. Wäre Sarajevo ein einzigartiges Biotop – die Welt hätte nicht ein Jahr lang zugeschaut, wie die Serben die Stadt bombardieren. Es gibt mittlerweile einen weltweiten Konsens, daß alle Lebewesen auf dieser Erde zu schützen sind – nur nicht der Homo sapiens. Es gibt also keinen moralischen Impuls, der Regierungen unter Druck setzen würde, die gegen die Prinzipien der kollektiven Sicherheit verstoßen. Ohne moralischen Impuls kein politischer Druck. Ergo kann die UNO nicht funktionieren. Es gibt eine sich verbreitende Stimmung, wonach ohnehin zu viele Menschen auf diesem Planeten leben. Der Umstand allein, daß massenhaft Menschen umgebracht werden, ist kein Grund mehr zu handeln. Das ist nicht zuletzt ein philosophisches Problem, mit dem sich nun auch Leute wie ich, die Politikberatung betreiben, auseinandersetzen müssen.

Dann sollten sich nach Ihrer Ansicht die USA gar nicht erst auf einen Multilateralismus im Rahmen der UNO einlassen?

Jeder mit halbwegs durchschnittlicher Intelligenz in Washington weiß, daß die UNO kein handlungsfähiges Organ ist. Deswegen hört man heute den neuen Isolationismus in den USA in Äußerungen wie: „Daß überlassen wir am besten dem Sicherheitsrat.“

Was wäre zum Beispiel im Fall Bosniens die Alternative zum gescheiterten Multilateralismus im Rahmen der UNO?

Zum einen gibt es durchaus funktionierende multilaterale Organisationen wie die Nato. Zum anderen hätte es eine andere Außenpolitik im State Department geben müssen. Auf Ebene der leitenden Beamten ist man dort der einhelligen Meinung, daß man schon vor Monaten mit Bombenangriffen gegen die Serben hätte beginnen müssen. Gleichzeitig hätten die USA extremen Druck auf die Nato-Verbündeten ausüben müssen, militärisch zu intervenieren. Im Nato-Rahmen wäre meiner Meinung nach auch die Stationierung amerikanischer Bodentruppen denkbar gewesen. Das setzt voraus, daß der US-Außenminister der amerikanischen Öffentlichkeit den Fall Bosnien als eine Bedrohung darstellt, die umgehend amerikanisches Eingreifen erfordert. Es gibt natürlich keine reale Bedrohung der USA durch den Krieg in Bosnien. Aber man kann die Perzeption einer solchen Bedrohung schaffen.

Also eine Taktik wie im Golfkrieg...

Genau. Da haben die USA die UNO und die Verbündeten instrumentalisiert. Das hätte man im Fall Bosniens genauso machen können. Die USA waren noch nie besonders erfolgreich, wenn es darum ging, Verbündete vor Aktionen zu konsultieren...

Sie haben gleichzeitig in mehreren Kommentaren die US/UNO- Intervention in Somalia als „Zeitverschwendung“ verurteilt...

Weil es, was ich keineswegs bedaure, keinen politischen Willen und kein politisches Interesse gibt, eine Kolonialherrschaft in Somalia zu errichten. Ohne diese Kolonialherrschaft aber macht eine Intervention in Somalia keinen Sinn. Wir haben es dort nicht mit einem politischen System zu tun, daß hier und da ein paar Brüche und Risse erlitten hat. Es gibt dort überhaupt kein politisches System. Somalia ist eine Erfindung britischer und italienischer Kolonialbeamter. Entweder ist man also bereit, in Somalia die Rolle eines Neokolonialherren zu übernehmen, oder man hält sich heraus. Durch eine Intervention, wie sie jetzt stattgefunden hat, ist überhaupt nichts gewonnen. „Operation Restore Hope“ war ein Manöver, um die eigene Untätigkeit im Fall Bosnien zu kaschieren. Es war weniger ein Ablenkungsmanöver seitens der politischen Führung als seitens des US-Generalstabs. Was jetzt in Somalia stattfindet, ist der Krieg des Colin Powell.

Wie wird sich die Ernennung des derzeitigen Nato-Oberbefehlshabers John Shalikashvili zum Vorsitzenden der US- Generalstabschefs auswirken?

Shalikashvili ist ernannt worden, weil er politisch wesentlich weniger ambitioniert ist als Powell, und weil man sich in der Administration erhofft, daß er einer Verschiebung der Autorität und Entscheidungsmacht zugunsten der politischen Führung nicht im Wege stehen wird. Außerdem ist er sehr viel eher bereit, in Bosnien militärisch zu intervenieren, was wiederum den Interessen der Administration eher entgegenkommt. Ob daraus letztlich konkrete Schritte folgen, bleibt abzuwarten. Die Administration muß die Führungsrolle übernehmen.

Mit welcher neuen Definition des „nationalen Interesses“ sollten die USA dies tun – nach Ende des Kalten Krieges und vor dem Hintergrund von Konflikten wie Somalia und Bosnien?

Die Rolle der USA sollte es sein, den Preis für Aggression so oft wie möglich in die Höhe zu schrauben. So hoch wie möglich. Als erstes sollte es eine schwarze Liste der Aggressoren geben. Da gehört zum Beispiel der Sudan dazu, dessen Regierung die christliche Bevölkerung im Süden massakriert. [Die US-Regierung hat zwei Tage nach diesem Interview den Sudan auf die Liste der Länder gesetzt, die den internationalen Terrorismus unterstützen – allerdings nicht wegen des Terrors gegen die eigene Bevölkerung, sondern wegen geplanter Bombenanschläge in den USA, Anm. d. Red.] Gegen solche Länder sollten Embargos verhängt werden. Wenn möglich und nötig, sollte man sie mit militärischen Mitteln unter Druck setzen. Dabei spielt es keine Rolle, daß zum Beispiel Bombenangriffe gegen die Serben nicht notwendigerweise den Krieg beendet hätten. Aber es hätte ihnen klar gemacht, daß sie einen Preis für ihre Aggression bezahlen müssen. Massenmörder zu töten, ist allein schon ein legitimes Ziel. Interview: Andrea Böhm

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