■ Eduard Schewardnadse: Kampf um ein stabiles Georgien: Der Bruch mit Rußland war zu teuer
taz: Herr Vorsitzender, vor kurzem wurde entschieden, einen Teil des kaspischen Öls aus Aserbaidschan durch Georgien ans Schwarze Meer zu transportieren. Am 5. 11. sind Präsidial- und Parlamentswahlen. Georgien unterm Zeichen der Stabilisierung?
Eduard Schewardnadse: Klar, ein unstabiles Land kann kein Transitland werden. Es gab viele Hindernisse und Bedingungen. Dann aber wurde entschieden, daß man uns vertrauen kann.
Gehört zur Stabilität auch, daß die neue Verfassung außerordentliche Machtbefugnisse für den Präsidenten vorsieht?
Die Verfassung, die übrigens mit Hilfe vieler Fachleute aus Europa erarbeitet wurde, basiert auf Zusammenarbeit und Kollegialität zwischen dem Präsidenten und dem Parlament. Der Präsident hat nicht das Recht, das Parlament aufzulösen, wie auch das Parlament – außer im Fall des Impeachment – nicht den Präsidenten zum Rücktritt zwingen kann. Zusammenarbeit ist wichtig für Georgien. Wir sind in einer Übergangsphase, und die Demokratisierung muß unumkehrbar gemacht werden.
Seit dem Anschlag am 29. August haben Sie mit Ihren innenpolitischen Gegnern aufgeräumt. So befinden sich einige hundert Mchedrioniführer in Haft, Ihr Ex- Sicherheitschef Georgadse hat sich nach Moskau abgesetzt. Gibt es noch politische Gegner, und wer ist als nächster dran?
Es ist jetzt an der Zeit, mit dem Wiederaufbau zu beginnen. Wir haben allen formellen und informellen bewaffneten Gruppierungen die Chance zu einem Neuanfang gegeben. Leider gehörten die Mchedrioni zu denjenigen, die das nicht gewollt haben. Viele ihrer Mitglieder sind in das Attentat verwickelt. Verbindungen zu dem ehemaligen Sicherheitschef Georgadse sind erwiesen. Georgadse befindet sich jetzt in Moskau, und wir haben die russischen Behörden darum ersucht, daß er uns ausgeliefert wird. Nach dem Abkommen, das wir mit der Rußland unterzeichnet haben, sind die russischen Behörden dazu verpflichtet.
Die Frage: Wer ist als nächster dran? entspricht nicht meiner Art, Probleme zu lösen. Ich bin bereit, mit allen zusammenzuarbeiten, auch mit denjenigen, die feindlich gesinnt sind. Wer mich mit politischen Methoden bekämpft, kann das gleiche von mir erwarten. Ich hoffe, daß die Wahlen normal verlaufen werden. Nach der Annahme der Verfassung und den Wahlen wird das Land die Möglichkeit haben, den Wiederaufbau fortzusetzen.
Die territoriale Frage der beiden abtrünnigen Gebiete Südossetien und Abchasien ist offen. Über 300.000 Georgier warten seit dem Krieg vor drei Jahren auf ihre Rückkehr. Was können Sie Ihnen versprechen?
Die Separatisten haben in Abchasien ein Verbrechen gegen die Menschheit verübt: Sie haben das Land „ethnisch gesäubert“. Das ist nicht nur meine Meinung, sondern auch die der Vertreter von 52 Nationen, die in Budapest eine Resolution zum Völkermord in Abchasien angenommen haben.
Was kann ich jetzt diesen Flüchtlingen versprechen? Daß sie in der nächsten Zeit in ihre Heimatorte zurückkehren werden. Parallel dazu soll der politische Status Abchasiens festgelegt werden, und zwar innerhalb der Grenzen Georgiens. Wir sind bereit, sehr weit zu gehen, was den politischen Status anbetrifft, aber von den Separatisten verlangen wir gleichzeitig, daß sie die Rückkehr der Flüchtlinge nach Abchasien nicht unterbinden.
Natürlich sind die Rollen der UNO und der OSZE auch nicht zu unterschätzen, aber von der Aktivität und der Position Rußlands hängt sehr viel ab. Die friedenserhaltenden Streitkräfte haben ihre Funktion praktisch nicht erfüllt. Sie haben die Garantien für die gefahrlose Rückkehr der Flüchtlinge nicht gewährleisten können, obwohl sie laut Mandat bevollmächtigt sind, dafür zu sorgen.
Sie haben kürzlich auch gesagt, wenn Verhandlungen zu keiner Lösung führen, müsse die Abchasien-Frage auf anderem Wege gelöst werden...
Wir befürworten bis zum Ende eine friedliche, politische Lösung dieses Konflikts. Werden jetzt keine Ergebnisse erreicht, sehe ich als nächsten Schritt eine totale wirtschaftliche Isolation der Separatisten. Ob dieser Schritt erfolgreich sein wird, hängt hauptsächlich von Rußland ab. Der Griff zur Waffe ist der allerletzte Ausweg. Eigentlich ist er, weil mit einem Blutbad verbunden, für Georgien ebenso unannehmbar wie für Abchasien. Fest steht aber auch: Solange noch ein Georgier auf dieser Erde lebt, wird er sich nicht mit dem Gedanken abfinden, daß Abchasien nicht mehr zu Georgien gehört.
Vor einigen Wochen kam es zur Unterzeichnung einer Reihe von Vereinbarungen mit der Russischen Förderation. Sie betreffen unter anderem die russische Unterstützung bei der Energieversorgung und Hilfe beim Aufbau der georgischen Streitkräfte. Auf der anderen Seite erhält Rußland nunmehr das Recht, 20.000 Truppen auf georgischem Territorium zu stationieren. Viele Georgier setzen Sie dem Vorwurf aus, Sie würden ihr Land an Rußland verkaufen.
Wir, das heißt das vorhergehende Regime, haben einen sehr ernsten Fehler begangen, als wir nach der Unabhängigkeitserklärung Georgiens alle Beziehungen mit Rußland abgebrochen haben. Das hat uns sehr viel gekostet, auch den Verlust von Abchasien. Jetzt bauen wir freundschaftliche, gut nachbarschaftliche Beziehungen zu Rußland auf. Gegenwärtig stehen zwei aktuelle Probleme auf der Tagesordnung, die wir mit Hilfe Rußlands lösen müssen. Wir müssen einerseits georgische Streitkräfte aufbauen, was mangels eigener Waffen und Waffentechnik ohne Rußland nicht möglich ist. Es gibt weltweit keinen anderen Partner. Das zweite Problem ist die Wiedergewinnung von Abchasien und die Regelung des georgisch-ossetischen Konfliktes. Auch hier wird das entscheidende Wort Rußland sprechen. Gleichzeitig ist Rußland daran interessiert, daß seine Streitkräfte in Georgien, ja überhaupt im Kaukasus bleiben. So fallen unsere Interessen zusammen.
Wer wird in Georgien zukünftig in der Vorhand sein, Rußland oder die Europäische Gemeinschaft?
Georgien ist ein Land, wo es, historisch gesehen, nie ein Vakuum gegeben hat. Georgien war immer im Blickfeld des Interesses verschiedener Länder, weitgelegene Länder genauso wie Nachbarn. Wir sind ein kleines Land, aber strategisch sind wirnicht unwichtig. Deshalb muß unsere Außenpolitik darauf aufbauen, überall – in der Nähe wie in der Ferne – Partner und Freunde zu finden; also sowohl Rußland als auch die Europäische Union, die uns wichtige Hilfe leistete und leistet. Jetzt sind wir dabei, einen umfassenden Vertrag mit der EU abzuschließen. Interview: Stefan Bitterle
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