Editorial von Josef-Otto Freudenreich : Altmodisch in die Zukunft
Eine neue Regierung, eine neue Zeit, eine neue Zeitung. Kaum anzunehmen, dass jetzt gleich die Kehrwoche in Baden-Württemberg abgeschafft wird. Aber der Geist wird freier und die Lust am Probieren größer. Für die Menschen ist das eine gute Zeit, und weil Journalisten auch Menschen sind, heißt auch für sie die Devise: Carpe diem.
Also nutzen wir die Gelegenheit, die vielleicht nie wieder kommt. Schreiben wir darüber, wohin dieser Geist weht, wohin er wehen könnte und wer ihn am Wehen hindert. Kontext:Wochenzeitung wird das tun, ohne den Anspruch, die Wahrheit gepachtet zu haben, und ohne die Selbstüberschätzung, keine Fehler zu machen. Die Grünen und die Roten dürfen dabei unserer kritischen Aufmerksamkeit sicher sein. Dasselbe gilt für alle, die Stuttgart zur Hauptstadt des Protests gemacht haben. Nicht zu vergessen die Schwarzen und Gelben mit ihrer Baden-Württemberg AG. Sie sind ja nicht weg, und deshalb haben sie weiterhin unser offenes Auge, aus Tradition und Vorliebe für ihren Filz.
Wir von Kontext:Wochenzeitung sind so frei, das in aller Unabhängigkeit anzugehen. Geistig und ökonomisch. Wir gehören keiner Partei an, und die kleine Werkstatt gehört keinem, der meint, die Richtung vorgeben zu müssen. Zusammen mit unseren Trägern und Spendern, die Sie bei unserer Online-Ausgabe in „Wir über uns“ finden, wollen wir nur eines: einen glaubwürdigen Journalismus.
Wir wissen, wie schwer das heutzutage ist. Das Misstrauen gegenüber den meisten Medien ist groß. Zu Recht. Sie sind zu nahe bei den Mächtigen, zu oberflächlich und so weit durchökonomisiert, dass für Kritik und Kreativität kaum Platz bleibt. Viele Redaktionen werden kaputtgespart, Redakteure noch ängstlicher. Heraus kommt die Mutlosigkeit des Mainstreams, der wie Seife durchs Land fließt.
Journalismus braucht Zeit für viele Fragen, Raum für viele Gedanken und eine Bühne für die Präsentation. So sind wir auf das Internet gekommen, was kurios anmutet, aber zeitgemäß ist. Niemand zwingt uns, der Hektik des Netzes zu verfallen, warum also keine Wochenzeitung im Internet? Als Gegenmodell zur Atemlosigkeit, mit langen Texten, mit den alten Tugenden des Journalismus, der fragt, abwägt, in alle Lebenswirklichkeiten schaut und prüft, bevor er schreibt. So gesehen gehen wir altmodisch in die Zukunft. Und wenn die Leser die Tage zwischen den Mittwochen nutzen, um mit uns online zu diskutieren, dann ist Presse das, was sie sein soll: ein Grundnahrungsmittel der Demokratie.
Ermuntert haben uns auch die Kolleginnen und Kollegen von außen, die bisher über das Projekt berichtet haben. Sie sehen es mit Sympathie, weil es sie daran erinnert, wie sie selbst einmal angetreten sind – mit Freude an ihrem Beruf. Gestärkt hat uns auch die taz, die zu uns passt, weil sie als Genossenschaft ihre Unabhängigkeit hochhält. Ihr Angebot, Kontext:Wochenzeitung zu drucken, betrachten wir als gemeinsames Anliegen, den Qualitätsjournalismus zu fördern. Und wenn uns jetzt noch die Leser ihr Vertrauen schenken, indem sie lesen und debattieren, dann kann’s losgehen. Also: mittwochs Kontext:Wochenzeitung im Netz, samstags Kontext:Wochenzeitung gedruckt in der taz.