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Echtes bremisches Spektakel -betr.: "Staatsanwalt ermittelt gegen Staatsrat", taz vom 19/20.8.1995

Betr.: „Staatsanwalt ermittelt gegen Staatsrat“ vom 19/20.8.

Jetzt werden sie also wieder abgespult, die gewohnten Rituale: runder Tisch in der Behörde, Forderung der zuständigen Senatorin nach schonungsloser Aufklärung, Drohung der Opposition mit einem Untersuchungsausschuß und auch die Staatsanwaltschaft wird bemüht. Den bremischen Bürgerlnnen wird nach der Sommerpause schon ein echtes Spektakel geboten.

Ist es wirklich mit der Suche nach einem Schuldigen getan? Nach bewährtem Muster: Es muß irgendwo ein Kopf rollen, wenn's nicht gerade der eigene ist, sind's alle zufrieden.

Wie sattsam bekannt, liegt es an der Struktur dieser Behörde, die dazu geführt hat, daß sich kein Mensch mehr für sein Handeln verantwortlich fühlt, weil Verantwortlichkeiten mühelos hin- und her delegiert werden können!

Soll das eigentlich immer so weiter gehen?.

Erinnern wir uns: Die Firma Ploenzke erhielt den Auftrag, die Arbeitsabläufe in der Sozialbehörde zu untersuchen. Im Herbst 1994 lag das Gutachten auf dem Tisch. Die Ergebnisse waren niederschmetternd und wurden der Öffentlichkeit vorenthalten. Einige erstaunte ParlamentarierInnen erfuhren auf Nachfrage, das Gutachten sei unzureichend und fehlerhaft.

Eine Nachbesserung sei in Auftrag gegeben worden. Dann im März 1994 das neue Gutachten. Auch hier wieder massive Kritik an der Organisationsstruktur im Sozialressort. Da heißt es u.a.: - Es gibt einen Mangel an Klarheit und Transparenz in der Verteilung von Kompetenzen und Verantwortung - Es gibt wenig Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, weil sich das kaum lohnt. - Es gibt viele Möglichkeiten, Verantwortung im bestehenden System zu verschieben - Es fehlt ein Projektmanagement mit klaren inhaltlichen, zeitlichen und ressourcenorientierten Zielsetzungen und Kontrollen. - Es fehlt auch an der Einstellung, daß Probleme mit klaren Zielsetzungen unter Einhaltung von Termin- und Ressourcenvorgaben gelöst werden müssen.

Aber man höre und staune. Der Staatsrat – seit 15 Jahren verantwortlich für die Führung dieses Ressorts – und spätestens seit 1990 permanent mit Kritik konfrontiert, denn Celal Akam ist bei weitem nicht das einzige Opfer dieser Arbeitsweise – ist heute empört über diese „organisierte Unverantwortlichkeit.“ Sind nicht die Staatsräte für die Organisation und die Verwaltungsabläufe in ihrem Ressort verantwortlich? Oder sollte das in Bremen anders sein?

Wer es in der Vergangenheit wagte, die Führungsqualitäten von Herrn Dr. Hoppensack in Zweifel zu ziehen, der hatte die Wahl zwischen Spießrutenlaufen oder Kofferpacken und gehen. Spannend ist also die Frage, ob es wieder gelingt, den „Täter“ als „Opfer“ zu stilisieren.

Die stereotype Antwort, die Kritikerinnen in Bremen immer wieder zu hören bekommen: „Das ist doch überall genauso“ geht leider fehl.

In anderen Bundesländem besteht immerhin die Möglichkeit, daß die verschiedenen staatlichen Ebenen entzerrt werden und damit einer halbwegs effektiven parlamentarischen, d.h. Oppositions- und Öffentlichkeitskontrolle unterliegen.

In Bremen – klein und arm – ist das anders. – Alle wesentlichen Entscheidungsträger aller Ebenen kennen sich persönlich untereinander – Verfassungsmäßig sind die staatliche und kommunale Ebene ineinandergeschoben. – Auslagerung von verselbständigten Verwaltungsträgern (Flucht des Staates in Privatrecht) schließt öffentliche Kontrolle aus, da weder eine wachsame Opposition noch eine innerparteiliche Demokratie vorhanden ist.

Gesellschaftliche Strukturen sind für Unternehmer sehr wichtige Standortfragen.

Es lohnt sich also, darüber nachzudenken!

Anne Albers

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