Ebony Bones Debütalbum: Liebe das Feuerwerk wie dich selbst!
Für welchen Riot steht dies Riot Girl? Das Debütalbum "Bone Of My Bones" der Sängerin Ebony Bones.
Hier kommt ein neues Genre: ADHS-Pop. ADHS steht für Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom. Je häufiger es auftaucht, desto mehr wird es als Symptom wahrgenommen: ein schwer fixierbares Ensemble aus normabweichenden Handlungen, das sich allmählich zur Kenntlichkeit entwickelt, bis es einen Krankheitsnamen bekommt. Aber wie das so ist bei postmodernen Krankheitsbildern auf psychosozialer Grundlage: Schneller als ein Flash Mob bildet sich ein Haufen, der bereit ist, den Spieß umzudrehen, die Krankheit zur Waffe zu machen und mit Zizek auszurufen: Liebe dein Symptom wie dich selbst!
Die 24-jährige Londonerin Ebony Thomas spielte zwischen 1998 und 2005 die Rolle der "Yasmin Mc Hugh" in der britischen Fernsehserie "Family Affairs".
Als Ebony Bones macht sie schlagzeuggetriebene Postpunkmusik, die mit dem Sound von Public Image oder BowWowWow verglichen wird. Unterstützung erhält Ebony Bones von Damned-Drummer Rat Scabies.
Die überzeugendsten Vertreterinnen von ADHS-Pop sind in der Reihenfolge ihres Auftretens: M.I.A., Santigold und, eben: Ebony Bones. Alle drei sind weiblich, nicht weiß, bringen in kürzester Zeit extrem viele verschiedene Bilder von sich in Umlauf und sprechsingen in kurzer Zeit extrem viele verschiedene Wörter. Sie wechseln die Frisuren wie andere das Hemd und die Hemden wie Zapper das TV-Programm.
Zur Sekunde des Fotoshootings zu ihrem Debütalbum "Bone of my Bones" trägt Ebony Bones einen blonden Afro zu einem Patchwork aus schwarzweißen Herzchenleggings, quietschbuntem Batik-Top und 13 wurstartigen Arm- und Taillenreifen (aus Schaumgummi?) mit geometrischen, psychedelischen und minimalistischen Mustern in allen erdenklichen Schockfarben. Die Dicke der Reifen reicht von knackwurstdünn bis mortadellamassiv. Ebony Bones - der Name spricht: Wer im Großbritannien der Achtziger seine Tochter Ebony nennt, trägt seine dunkle Haut mit Selbstrespekt. Klein-Ebony wird Boney gerufen, wegen der Knochen, nicht wegen Boney M. Mit 24 hat sie eine Schauspielkarriere hinter sich, interdisziplinär, Macbeth und TV-Soap. Wer das kann, kann auch Pop. Oder Punk, wie Ebony Bones ihre Musik nennt. Oder besser: ihre Haltung.
Wie bei Santigold und M.I.A. ist Punk für Ebony Bones weniger musikalisches Genre als Lizenz zum Selbermachen, Medium der Selbstermächtigung. Und schneller als du Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom sagen kannst, ist Ebony Bones der neue Do-it-yourself-Superstar. Nie ging self-fulfilling prophecy schneller. Nie war schwerer zu unterscheiden: wo endet die Kontrolle der selbstermächtigten Multitaskerin? Wo beginnt das Drama der hochbegabten ADHS-Patientin? Wo endet der Alles-ist-verfügbar-Eklektizismus? Wo beginnt Autopilot-Beliebigkeit? Punktgenau lanciert die Ebony-Bones-Blog-Buster-Maschine griffige Fangwörter: Künstlerin unserer Zeit, polymorpher Sound, Pick & Mix- Ansatz, i-Tunes-Welt …
"Bone of my Bones" geht los mit "W.A.R.R.I.O.R.". Der unbedingte Wille zum Warriortum geht Ebony keine Sekunde ab. Unklar bleibt, wofür hier gewarriort wird. Für welchen Riot sie das Riot Girl gibt. Wie M.I.A. und Santigold ist auch Ebony Bones ein Warrior des Vitalismus, gern mit einem Schlag ins Schamanistische, auf verwackelten Live-Clips kann man sie mit der jungen Neneh Cherry verwechseln oder mit den Slits. Oder mit den Chicks On Speed, den Müttern des ADHS-Electropunk. Ansonsten ist es ja Quatsch, die zwölf Superhits von Ebony als Album zu besprechen. Kein userlogisch agierender Fan wird dieses Patchfeuerwerk am Stück konsumieren, da droht Overload. Ideenvergiftung.
Dass songgewordene Ansammlungen von Sekundenflashs überhaupt noch im längst implodierten Format Album besprochen werden, hat in erster Linie damit zu tun, dass Erzählkonventionen aus dem letzten Jahrhundert nicht so mir nichts, dir nichts abzuschaffen sind. In zweiter Linie damit, dass der Rezensent sich zur Rezensierten verhält wie Ginger Rogers, Tennessee Williams, Karl Schiller oder Georges Pompidou zu den Beatles 1962, da kam ihre erste Platte. 30 Jahre älter.
Ebony Bones, "Bone Of My Bones" (Sunday Best/PIAS)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Die Brennelementefabrik und Rosatom
Soll Lingen Außenstelle von Moskaus Atomindustrie werden?
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen