piwik no script img

EUROFACETTENWählerrevolte

■ Grün-rote Perspektiven in einem föderalen Europa

In Italien ist die christdemokratisch-sozialistisch geführte Koalition aus der Regierung gewählt worden. In Frankreich erlitt die regierende Sozialistische Partei bei den Regionalwahlen ihre größte Niederlage. In Schweden haben die Sozialdemokraten ihre Machtbasis verloren. Bei den Regionalwahlen in Deutschland und bei den nationalen Wahlen in Belgien gab es massive Proteststimmen sowohl gegen Christ- wie auch Sozialdemokraten.

Etwas politisch Entscheidendes kündigt sich an: Schließlich sind nur einige wenige Regierungen in Westeuropa übrig, die die politischen Geschäfte noch unter Kontrolle haben. Doch nicht nur die Regierungsparteien verlieren massenhaft an Wählern — ähnlich geht es den großen Oppositionsparteien. Die Rede ist von einer „Wählerrevolte“ gegen das bestehende politische System.

Außerhalb Großbritanniens wurde den dramatischen Gewinnen der neofaschistischen Rechten in Frankreich, Belgien und Deutschland größte Aufmerksamkeit zuteil. Es wäre jedoch ein Fehler, die letzten Wahlergebnisse als eindeutigen Rechtstrend zu interpretieren. Tatsächlich haben nämlich die beiden grünen Parteien in Frankreich größere Gewinne gemacht als Le Pens Nationale Front. Das gleich gilt für Belgien. Ebenso stehen den Wahlerfolgen der Rechtsextremen in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein Gewinne der Grünen gegenüber. In Italien war die extreme Rechte wenig erfolgreich, während die extrem linke „Rifondazione Communista“ wider Erwarten zulegte. Rot-grünen Parteien gelang im letzten Jahr auch in Dänemark, Holland und Norwegen der Sprung ins Parlament.

Die Zersplitterung der etablierten Parteien wird unterstrichen durch Erfolge der politischen Kräfte, die wie in Italien und Belgien für eine regionale Selbstverwaltung in einem föderalen Europa eintreten. Dieser Trend kann sich durchaus fortsetzen, mit interessanten Konsequenzen für die nächsten Wahlen zum Europaparlament im Juni 1994: Die etablierten Parteien verlieren Wähler sowohl an extrem rechte wie an grüne, regionalistische und nationalistische Parteien.

Es gibt eine Menge Gründe für Aufstände gegen die Politik der EG. Aber der Verlust des Vertrauens in die Fähigkeit der Nationalstaaten, die ausufernden internationalen Wirtschafts-, Umwelt- und sozialen Krisen zu meistern, trifft die etablierten Parteien an ihrem wunden Punkt. Überall in Europa fangen die Leute an zu verstehen, daß die politische Macht nach „oben“ zur europäischen Arena und nach „unten“ zu den Regionen strebt. Dies ist auch der Fall in Schottland und Wales. Dort wird sich der Widerstand gegen die vierte Amtszeit der Tories — zumindest am Anfang — entscheiden. Mit der Unterstützung dieses Widerstands muß der Kampf für eine neue grün-sozialistische Politik beginnen, die auf regionaler Selbstverwaltung in einem föderalen Europa basiert. John Palmer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen