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EUROFACETTENIllusionen kann man zerstören, Visionen nie

■ Psychologische Hintergründe zur Faszination künstlicher Ferienwelten

Künstliche Ferienwelten? Als professioneller Kulturkritiker könnte man es sich leicht machen: Das kann nur Fassadenfirlefanz und Kitschinszenierung, Verführungsmaschinerie und Instant-Tourismus, Hollywood und Walt Disney sein. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Viele Kritiker verwechseln Illusion mit Illusionierung. Der Massenansturm der Besucher zwischen Faszination, Begeisterung und Happiness zeigt deutlich: Die Abstimmung findet offensichtlich mit den Füßen statt.

Wirklich neue Ferienziele gibt es nur noch in der Phantasie. Die Welt erscheint touristisch fast „lückenlos“ erschlossen. Neue Ziele kann man eigentlich nur noch selbst er-„träumen“ oder er- „finden“ lassen. Viele Urlauber träumen von neuen Ferienparadiesen, die allen alles bieten: eine Mischung aus Yachthafen, tropischen Gärten, Shopping Center und griechischem Dorf. Eine perfekte Ferienwelt, die von drei Faktoren lebt: Imagination, Attraktion, Perfektion.

—Bildingenieure („imagineers“) zaubern Illusionen: Stilisierte Palmen und künstliche Seen. Kulissenzauber — so echt wie möglich.

—Besondere Attraktionen machen künstliche Ferienwelten mit natürlichen Ferienwelten unvergleichbar.

—Die „everything goes“-Devise verlangt Perfektion bis ins kleinste Detail. Alles wird und muß perfekt geplant werden.

Das Ergebnis ist „clean“: Keine Umweltprobleme und Versorgungsengpässe. Und der Urlauber kann wählen zwischen Spazierengehen inmitten 100.000 neu gepflanzter Bäume oder Unterhaltenwerden rund um die Uhr. Die Frage „Was will der Urlauber wirklich? Kultur oder Kulisse? Wirklichkeit oder Illusionen?“ ist eigentlich falsch gestellt worden. Der Urlauber will verwirklichte Visionen und keine Illusionen. Illusionen kann man zerstören, Visionen nie.

So gesehen will und soll die Ferienwelt von morgen gar kein Abbild der gesellschaftlichen Wirklichkeit sein. Sie soll vielmehr das verwirklichen, was sich die Menschen in ihren Phantasien und Träumen vorstellen. Dabei kann eine künstliche Traumlandschaft faszinierender als die Naturlandschaft sein. Konkret: Manche Kulissen werden in Zukunft als Touristenattraktionen mehr Besucher anziehen als die echten Ruinen — wie zum Beispiel heute schon in den USA. 1923 ließ der US-Produzent und Regisseur Cecil B. de Mille für seinen monumentalen Bibelfilm Die Zehn Gebote die altägyptische Stadt Karnak errichten. Die Filmkulisse weist inzwischen mehr Besucher auf als die echte Tempelstadt in Ägypten.

So unwirklich künstliche Ferienwelten auch erscheinen mögen, aus psychologischer, ökonomischer und ökologischer Sicht gibt es vernünftige Gründe dafür:

—Erlebnispsychologisch gesehen treffen die rosaroten Traumwelten vom Fließband offensichtlich den Massengeschmack. Massentourismus bedeutet in Zukunft vor allem: Szenerie und Dramaturgie von Erlebnislandschaften. Erholen kann man sich auch zu Hause.

—Ökonomisch erweisen sich Vergnügungsparks und Touristikattraktionen als Erfolgsformel Nr. 1. Viele Freizeit- und Ferienparks erreichen eine Auslastung, von der andere Branchen nur träumen können.

—Ökologisch gesehen sind die Kunstwelt-Konzepte fast ein Segen für die Problematik von Massentourismus und Umweltbelastung. Die Touristenströme konzentrieren sich auf die künstlichen Erlebnislandschaften, während die natürlichen Landschaften weitgehend unbehelligt bleiben.

Die Frage, ob es wichtig bzw. unverzichtbar ist, „wirklich“ in die Karibik zu fahren, um sich wie in der Karibik fühlen zu können, entspricht nicht dem Denken des Urlaubers. Urlaub ist etwas ganz anderes. Urlaub „muß“ nicht in jedem Fall dem Anspruch von Wahrheit und Wirklichkeit entsprechen. Urlaub braucht das „Original-Gefühl“. Gerade dies macht das eigentliche „Dilemma“ des Urlaubers aus. Dieses Urlaubsdilemma erweist sich als ein Problem von Nähe und Distanz: Wieviel wovon? Beide, Original und Kulisse, sind zugleich erwünscht.

Die Urlauber lassen sich in aller Regel auf einen Kompromiß ein: „Soviel Ursprünglichkeit wie möglich, soviel Kulisse wie nötig.“ Eine „naturbelassene“ Karibikinsel ohne Cola und Bier erscheint den meisten Urlaubern ebensowenig akzeptabel wie eine künstliche Dschungelkulisse vor der eigenen Haustür. Die Anforderung an Unverfälschtheit und die Akzeptanz von Künstlichkeit bestimmen sich letztlich an dem individuellen Bedürfnis, an dem ganz persönlichen Maß von Nähe bzw. Distanz, das jeder einzelne braucht, um sich wohlzufühlen.

Werden wir uns in Zukunft daran gewöhnen müssen, daß die schöne neue Urlaubswelt nur noch als Kulisse zu haben ist? Horst W. Opaschowski

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