EU-Sondergipfel: Zwei freie Stellen in Brüssel
Auf einem Sondergipfel sollen heute die zwei wichtigsten Jobs der EU vergeben werden. Im Vorfeld konnten sich die Regierungen nicht auf Kandidaten einigen.
Vom Feiern verstehen die Europäer nichts. Vom Streiten dafür umso mehr. Nach neunjährigen quälenden Debatten über eine EU-Vertragsreform knallten nicht etwa die Sektkorken. Stattdessen gibt es heute einen Sondergipfel, auf dem die neuen Topjobs besetzt werden sollen. Da es im Vorfeld nicht gelang, alle Mitgliedsstaaten auf gemeinsame Kandidaten einzuschwören, wird es wohl mal wieder eine lange Nacht in Brüssel.
Gesucht wird ein Präsident des Europäischen Rates, der für mehr Kontinuität in der europäischen Politik sorgen soll. Die Regierungschefs wollen einen amtierenden oder ehemaligen Spitzenpolitiker benennen – und das auch noch einstimmig.
Damit machen sie sich die Sache unnötig schwer. Denn laut Lissabon-Vertrag reicht eine qualifizierte Zweidrittelmehrheit der Staaten, die gleichzeitig zwei Drittel der EU-Bevölkerung repräsentieren müssen. Der Vertrag schreibt vor, dass der neue Präsident "kein einzelstaatliches Amt ausüben" darf. Dass er zuvor ein hohes Tier in der nationalen Politik gewesen sein muss, steht nirgends.
Mit dieser engen Stellenausschreibung haben sich die Gipfelteilnehmer ohne Not in die Klemme gebracht. Wer zu Hause ein attraktives Amt ausübt, wird sich nicht lauthals um einen neuen Job in Brüssel bewerben, wenn er ihn nicht garantiert bekommt. Das führt zu einer Negativauslese unter den möglichen Kandidaten.
Am häufigsten fällt der Name Herman Van Rompuy. Er wollte nie Chef des immer mehr auseinanderdriftenden Belgiens sein und wäre den Job gern wieder los. Allerdings kennt ihn schon zu Hause kaum einer, als Aushängeschild für die EU wäre er also nicht gut geeignet.
Hartnäckig hält sich Tony Blair in den Charts, obwohl sich niemand so richtig für ihn begeistern kann. Inzwischen fällt auch der Name José María Aznar immer häufiger. Er hätte immerhin das richtige Parteibuch. Parlament und Rat haben sich nämlich darauf geeinigt, den Posten des Ratspräsidenten mit einem Konservativen zu besetzen und den Außenminister aus den Reihen der Linken zu wählen.
Einen gravierenden Schönheitsfehler haben diese Kandidaten aber beide: Sie sind, wie auch der kürzlich wiedergewählte Kommissionspräsident Manuel Barroso, 2003 beim Azorengipfel dabei gewesen. Dort sagten mehrere EU-Staaten den Amerikanern Unterstützung im Irakkrieg zu. Die Mehrheit der europäischen Länder aber hielt sich aus dem Konflikt heraus und möchte deshalb nicht von einem "Azorenkrieger" repräsentiert werden.
Was den neuen europäischen Außenminister angeht, gestaltet sich die Auswahl noch schwieriger. Er soll Sozialist sein. Das Land, das ihn benennt, muss auf einen Kommissarsposten verzichten. Doch fünf der sieben linken Regierungen, die es in Europa noch gibt, wollen unbedingt einen Kommissionsposten. Bleibt Großbritannien, das seinen Außenminister David Miliband schicken könnte, der aber angeblich nicht will. Aus Griechenland ist die ehemalige Sozialkommissarin Anna Diamantopoulou im Gespräch.
Ihre Wahl würde zumindest für etwas mehr Geschlechterbalance sorgen. Bislang waren für die Topjobs fast nur Männer im Gespräch, was fraktionsübergreifend die Frauen im EU-Parlament auf die Barrikaden bringt. Sie kündigten an, künftig mit Anzug, Krawatte und Schnurbart ins Plenum zu kommen und damit wie die türkische Frauenbewegung ihren Protest auszudrücken.
Die konservative griechische Abgeordnete Rodi Kratsa sagte: "Ratspräsident und Außenminister sind Jobs von hoher Symbolkraft. Wir werben für Kandidatinnen wie die ehemalige österreichische Außenministerin Ursula Plassnik oder die ehemalige lettische Staatspräsidentin Vaira Vike-Freiberga." Mehrere linke, liberale und grüne Abgeordnete starteten eine Kampagne für die ehemalige UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, die Irin Mary Robinson.
Auch für die 25 zu vergebenden Kommissarsposten wurden bislang nur vier Frauen nominiert. Appelle von Kommissionspräsident Manuel Barroso, ihm doch bitte mehr Frauen zu schicken, änderten daran nichts. Die aufgebrachten Parlamentarierinnen, darunter die grüne Fraktionschefin Rebecca Harms, kündigten am Dienstag an, die neue Kommission abzulehnen, wenn nicht mindestens wie bisher acht Frauen dazuzählen.
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