EU-Parteitag der Linkspartei: Die Wessis übernehmen das Ruder
Auf dem EU-Parteitag der Linkspartei offenbart sich die Kluft zwischen Ost-Pragmatikern und der West-Linken. Sylvia-Yvonne Kaufmann und André Brie scheitern mit Kampfkandidaturen.
Bis zum Samstagabend um kurz vor elf war alles harmonisch. Die 470 Delegierten debattierten freundlich und stimmten diszipliniert ab. Lothar Bisky hielt, wie immer auf Parteitagen, eine kluge und ausgewogene Rede. Er lobte die umstrittene EU-Parlamentarierin Sylvia-Yvonne Kaufmann für ihr Engagement, stritt gegen den Lissabon-Vertrag, dem er gleichwohl bescheinigte, mehr Demokratie zu bringen. Oskar Lafontaine agitierte schwungvoll gegen den Finanzkapitalismus, für die Demokratisierung der Wirtschaft und die Übernahme von Firmen durch die Belegschaften und wärmte so die Herzen der Genossen. Bisky als nette Integrationsfigur, Lafontaine als Kopf mit Strahlkraft nach außen - damit hat die Spitze der Linkspartei eine effektive Rollenverteilung gefunden.
Die Linke hat auf ihrem Parteitag in Essen insgesamt 30 Kandidatinnen und Kandidaten für die Europawahl im Juni aufgestellt. Die Partei geht von aussichtsreichen 13 Plätzen aus. Die Liste der Listenplätze:
1. Lothar Bisky: 93,4 Prozent.
2. Sabine Wils: 70,8 Prozent.
3. Gabriele Zimmer: 77,6 Prozent.
4. Thomas Händel: 78,1 Prozent.
5. Cornelia Ernst: 78,8 Prozent.
6. Jürgen Klute: 85,9 Prozent.
7. Sabine Lösing: 60 Prozent. Sie setzte sich gegen die EU-Parlamentarierin Sylvia-Yvonne Kaufmann (36 Prozent) durch. Kaufmann trat auch noch zur Kampfkandidatur um die Listenplätze 9 und 13 an. Sie scheiterte auch hier.
8. Helmut Scholz: 83,4 Prozent.
9. Martina Michels: 50,9 Prozent. In der Stichwahl gegen Sylvia-Yvonne Kaufmann (22,2 Prozent).
10. Tobias Pflüger: 51,6 Prozent. Pflüger setzte sich gegen Wilfried Telkämper durch. Telkämper sitzt jetzt auf Listenplatz 14.
11. Sidar Aydinlik-Demirdögen: 55,1 Prozent.
12. Sascha Wagener: 61,1 Prozent. Gegen ihn trat André Brie an. Dieser bekam 25,9 Prozent.
13. Ruth Firmenich: 53,9 Prozent. In der Stichwahl mit Sylvia-Yvonne Kaufmann (45,5 Prozent).
14. Wilfried Telkämper: 54,4 Prozent. Telkämper gewinnt in der Stichwahl gegen Dominic Heilig (45 Prozent).
Bisky wurde mit dem fast realsozialistischen Ergebnis von 93,4 Prozent zum Spitzenkandidaten für die Europawahl nominiert. Hinter ihm wurde die blasse Gewerkschafterin Sabine Wils, eine ehemalige DKPlerin, problemlos gewählt. Auch das Europawahlprogramm, über das es im Vorfeld Streit gegeben hatte, wurde nach zähen Debatten über kleinteilige Änderungen nahezu einstimmig angenommen.
Doch hinter der harmonischen Fassade toben heftige Kämpfe. Die Linkspartei ist tief in Ex-PDS und Ex-WASG gespalten. Die Flügel, Ostrealos und Westlinke, streben nicht zusammen, sondern eher auseinander. Westlinke wie Wolfgang Gehrcke und Christiane Reimann erhielten donnernden Applaus, weil sie gegen die EU als "imperialer Block" zu Felde zogen, in dem bloß "Klassenkampf von oben" exekutiert werde.
Realos wie Matthias Höhn, Parteichef in Sachsen-Anhalt, warnten vor dieser Brachialrhetorik. Doch der Beifall für solche geerdeten Einwürfe wirkte schüchtern. Dabei geht es nicht um taktische Differenzen, sondern um eine tiefe Kluft zwischen Reformisten und Radikalen. Während viele, vor allem aus dem Westen, gegen Kapitalismus und die EU wettern, plädieren Ostpragmatiker wie Wulf Gallert für die EU, "um den Kapitalismus bändigen zu können".
Am Samstagabend explodierte dann der von der Parteispitze sorgfältig kaschierte Konflikt um Sylvia-Yvonne Kaufmann: Das frühere PDS-Mitglied meldete seine Kampfkandidatur gegen die Westlinke Sabine Lösing an. Im Gegensatz zur Gesamtpartei ist Kaufmann für den Lissabon-Vertrag. Auch deshalb stand ihr Name nicht auf der Liste des Bundesausschusses, ebenso wenig wie der von André Brie.
Es folgte ein Rededuell, bei dem all die verborgenen Affekte und Aggressionen kurz herausbrachen. Lösing, Mitglied der "Antikapitalistischen Linken", wetterte gegen das "Europa der Konzerne". Kaufmann beschwor die "Idee Europa" und appellierte an den "linken Pluralismus". Vergebens. Die niedersächsische Westlinke Tina Flauger rief erregt, Kaufmann zu wählen bedeute, den Beschluss gegen den Lissabon-Vertrag nicht ernst zu nehmen.
Auch Ulrich Maurer, ein Vertrauter Lafontaines, mahnte, dass Kaufmanns Wahl den Mann/Frau- und den Ost/West-Proporz stören würde. Ostrealos beschworen Kaufmanns langjährige Verdienste für die PDS. Doch es half nichts. Mit 35 zu 60 Prozent unterlag sie klar. Kaufmann kandidierte trotzig bis zum Platz 13 - ohne Erfolg. Auch der frühere Chefdenker der PDS, André Brie, scheiterte recht deutlich an einem linken Flügelmann. "Kein schönes Resultat", kommentierte ein Realo-Bundestagsabgeordneter. Die Niederlagen von Brie und Kaufmann hatten die Realos schon halb eingepreist. Die beiden, hörte man aus dem pragmatischen Forum Demokratischer Sozialismus, haben "sich einfach zu viel Feinde gemacht". Doch für die pragmatischen Kräfte sollte es noch schlimmer kommen.
Am Sonntag kippte die Stimmung. Die Parteispitze wollte den Ex-Grünen Wilfried Telkämper nominieren, eigentlich einen idealen Kandidaten: zehn Jahre Erfahrung im Europaparlament, Gegner des Lissabon-Vertrags und ein Signal dafür, dass die Linkspartei nicht nur ehemaligen Sozialdemokraten offensteht. Doch der Parteitag votierte knapp für den Fundi Tobias Pflüger und verbannte Telkämper auf den aussichtslosen Platz 14. Erstaunlich war diese Votum auch, weil Pflüger bereits kundgetan hatte, gar nicht mehr ins Europarlament zu wollen. Doch sein Versuch, ein Bundestagsmandat zu bekommen, scheiterte. Normalerweise bestrafen Parteitage solche Taktierereien - doch der Wille zum rhetorischen Radikalismus war stärker.
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